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Technik. Tests. Trends.
Audiophile CDs

Die 20 herausragenden CDs des Jahres 2011

Es ist reichlich edle Musik unterwegs im Moment!! stereoplay hat die herausragendsten Aufnahmen des laufenden Jahres für Sie zusammengesucht und zeigt Ihnen auf einen Blick, was Sie sich als Freund audiophiler Klänge in Pop, Jazz und Klassik unbedingt anhören sollten.

Autor: Sedin Mujic • 18.7.2011

Al Di Meola & World Sinfonia
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Al Di Meola & World Sinfonia "Pursuit Of Radical Rhapsody"

"Pursuit Of Radical Rhapsody": eine 72-minütige Weltreise mit seinem für derlei Projekte gegründeten Ensemble World Sinfonia. Die 15 Stücke umfassen einen weitgespannten Horizont, verknüpfen mal lyrische, mal temperamentvolle Passagen, verweben ägyptisch-orientalische Motive mit argentinischen Tangoklängen, Abstecher in den Pop (der Beatles-Evergreen "Strawberry Fields Forever") inklusive.

Tonangebend ist natürlich der Meister selbst, der oft zur akustischen Nylonsaiten-Gitarre greift; bisweilen aber auch zur elektrischen. Hier erinnert die Gangart dann an Di Meolas mehr der Fusion zugewandte Electric Band - oder (etwa in "Mawazine") auch an Santana; wobei Al in Sachen Tempo die Nase vorn hat.

Drumherum spielt Fausto Beccalossi ein einfühlsames bis virtuoses Akkordeon, und Gonzalo Rubalcaba (Piano), Drummer Peter Erskine sowie Bass-As Charlie Haden vervollständigen das Lineup zu einer kleinen Supergroup der akustischen Weltmusik. Der Sound lässt sich am besten mit dem Prädikat "sophisticated" umschreiben. Dynamik, Bassfestigkeit, Raumtiefe - alles ist vorhanden, aber nichts überbetont, die Architektur des Klangbilds ist penibel austariert. Und wie knusprig die Percussion-Parts, wie penibel das Nachhallen der Saitenund Registerschwingungen eingefangen wurden: Das ist makelloses Handwerk in Verbindung mit größter Sorgfalt.

#Christof Hammer

Telarc / in-akustik

© Archiv
Paula Morelenbaum & Joao Donato
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Paula Morelenbaum & Joao Donato "Aqua"

Mit Alben wie "Casa" (2001) oder "A Day In New York" (2003) avancierte Paula Morelenbaum im letzten Jahrzehnt zur Queen des Bossa Nova. Einer ihrer regelmäßigen Begleiter war dabei der brasilianische Pianist Joao Donato. Jener wird auf dem gemeinsamen neuen Album "Aqua" nun in den Rang des gleichberechtigten Duo-Partners gehoben - eine explizite Verbeugung vor dem Lebenswerk des 76-Jährigen, der das Genre in Kollaborationen mit Astrud Gilberto oder Antonio Carlos Jobim beflügelte.

Morelenbaum & Donato treffen sich hier in zwölf Vokal-/Piano-Dialogen, die Traditionsbewusstsein atmen und zugleich (etwa in manchen Streicher- oder Bass-Synthesizerparts) auch dezent mit der Moderne flirten. Egal ob balladesk oder beschwingt - die Gangart ist formvollendet, die Arrangierkunst steht im Zeichen zeitloser Eleganz. Die Tontechnik lässt diese auch in den Bläser- oder Perkussionparts noch filigran gewobenen Klänge federleicht schweben und flattern, verzichtet auf überbetonte Bässe und nimmt auch die sparsam eingesetzte Elektronik an die kurze Leine. Eine wohltuend ausgewogene, natürliche Aufnahme.

#Christof Hammer

Skip / Soulfood

© Archiv
Leuchter - Melrose
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Leuchter - Melrose "Kein schöner Land"

Ein je nach Größe respektables Volumen an bewegter Luft, ein fein austariertes Miteinander von beweglichen und schwingenden Teilen wie Zunge, Ventil und Register und einem möglichst vibrationsarmen Korpus: In audiophiler Hinsicht ist das Akkordeon eines der interessantesten Instrumente. Schönste Hörpraxis wird aus dieser Theorie, wenn Manfred Leuchter (bekannt auch als Produzent von Reinhard Mey) in die Tasten einer Hohner Gola 454 greift, sozusagen der Stradivari unter den Akkordeonen.

Als kongenialer Partner dabei: der Schotte Ian Melrose, ein Meister des Storytellings, des virtuosen Flötenspiels und der "celtic fingerstyle guitar". Zusammen entwerfen Leuchter & Melrose kontemplative Instrumentals, die Folklore aus aller Welt, aber auch Motive der deutschen Romantik ("Kein schöner Land") und die Bach'schen Goldberg-Variationen aufgreifen. Das ist wehmütiglebensfroh und angenehm uneitel gespielt und in seiner atmenden Präsenz von der Tontechnik analytisch-mild ausgeleuchtet.

#Christof Hammer

Acoustic Music / Rough Trade

© Archiv
ASA
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ASA "Beautiful Imperfection"

Um den Jahreswechsel 2007/2008 war's, als Asa mit ihrem selbstbetitelten Debütalbum aufhorchen ließ und zu einem der Überraschungsacts des Jahres avancierte. Mit ihrer zweiten Platte "Beautiful Imperfection" profiliert sich die in Paris geborene Singer/Songwriterin mit nigerianisch-französischen Wurzeln nun erneut als immenses musikalisches Talent auf dem Weg ins Rampenlicht.

Bravourös verbindet die 28-Jährige in ihren zwölf neuen Songs Elemente aus Soul, Funk, Reggae und Pop mit etwas Jazz und World Music zu einem beschwingt-nachdenklichen Black-Music-Potpourri. Und obwohl ihre musikalische Gangart hinreichend bekannt ist und Asa sich kaum Extravaganzen erlaubt, klingt kein Song vorhersehbar oder gar berechnend. Ob Posaunenpuster ("Why Can't We"), Glockenspiel ("Maybe"), eine Hendrix-artige Rockgitarre ("Bimpe") oder James-Bond-mäßige Bläsersätze ("The Way I Feel"): Immer wieder warten ihre Arrangements mit reizvollen Details auf - und machen subtile Klänge (wie in der kammermusikalischen Ballade "Questions") ebenso zum Ereignis wie lupenreine Pop-Kompositionen ("Ok Ok").

Für zusätzliches exotisches Flair sorgt schließlich - als zweite Gesangssprache neben Englisch -Asas Muttersprache, der westafrikanische Dialekt Yoruba. Alles zusammen ergibt ein Album, das nie devot auf dem Ethnopop-Ticket reist, sondern als selbstbewusstes weibliches Black-Music-Statement in der Tradition von Kolleginnen wie Marla Glen, Tracy Chapman oder Lauryn Hill überzeugt.

Der Klang? Nicht spektakulär - aber in jeder Hinsicht highfidel: angenehm natürlich in punkto Raumdarstellung, nie übertrieben schmeichlerisch-mittenbetont, dazu fest, aber nicht fett im Bass.

#Christof Hammer

Naive / Indigo

© Archiv
Marianne Faithfull
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Marianne Faithfull "Horses And High Heels"

Ob es ein gutes Leben war? Schwer zu sagen. Auf jeden Fall war es ein wildes Leben, das Marianne Faithfull führte. Sie war mit Mick Jagger und Bob Dylan liiert, drogenabhängig, lebte auf der Straße. Wie bei vielen Best-Agern der Rockmusik gab es einen ultimativer Karriereknick in den 80er- und frühen 90er-Jahren.

Erst gegen Ende des letzten Jahrtausends rappelte sie sich wieder auf und nahm mit der Hilfe von Produzentenlegende Daniel Lanois das große "Vagabond Ways" auf. Seitdem ist sie fleißig. Alle zwei, drei Jahre erscheint ein neues Album, "Horses And High Heels" ist das beste seit einiger Zeit. Natürlich ist es nicht so, dass die Person Faithfull oder ihre Stimme überrascht. Trotzdem gelingt es der 64-Jährigen, Momente von erstaunlicher Intimität und Unverblümtheit darzulegen, etwa "Why Did We Have To Part", ein kleines Lamento über die Vergänglichkeit der Liebe, dem ein Kinderchor entrückte Unschuld mit auf den Weg gibt, die in Verbindung mit der so gebrochen wirkenden Stimme der Faithfull ein wunderbar widersprüchliches Bild ergibt. Oder das Shangri-Las-Cover "Past Present And Future", das mit Klavier und Streichermeer zur Rückschau im Spoken-Word-Stil lädt, und "Goin' Back" mit der wohl schönsten Slide-Gitarre der Platte.

Musikalisch siedeln sich diese Songs zwischen Folk und Roots, zwischen Jazz und Rock, zwischen Chanson und Vaudeville an, bleiben aber stets im amerikanischen Westen verhaftet. Bei der Einspielung und sorgsamen klanglichen Umsetzung, der dezenten und völlig stressfreien und ungekünstelten Produktion halfen einige, allen voran der Sessionmusiker Doug Pettibone, aber auch Lou Reed und Dr. John. Manche Songs schrieb sie selbst, andere stammen eigentlich von Carole King, Greg Dulli, Mark Lanegan oder Lesley Duncan. Wäre so viel Fremdmaterial nötig gewesen? Schwierig zu beantworten. Fakt ist: Marianne Faithfull zeigt sich auf diesem Album als ebenso starke wie eigenwillige Interpretin, die keine Angst vor der großen Geste hat. Und: Mit ihrer Stimme verhält es sich wie mit einem guten Whiskey. Sie wird mit dem Alter immer besser.

Trotz einiger Unwägbarkeiten, trotz einiger hörbarer Brüche wird Marianne Faithfull als Interpretin von Platte zu Platte beeindruckender.

#Jochen Overbeck

 
Naive / Indigo

© ARchiv
Fleet Foxes
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Fleet Foxes "Helplessness Blues"

Mehr geht nicht? Nach ihrem hochgelobten und zum modernen Klassiker erhobenen, selbst betitelten Debüt erging es den Fleet Foxes ähnlich wie einst Arcade Fire nach deren "Funeral". Was sollte danach kommen? Noch mehr Euphorie, noch mehr Beach-Boys-Gesangsharmonien, noch entrückterer, pastoraler Folkrock? Während die Kanadier mit dem etwas kleiner proportionierten "Neon Bible" antworteten, denken die Fleet Foxes nicht an Rückzug. Das Sextett um Sänger/Songwriter Robin Pecknold wagt sich stattdessen auf "Helplessness Blues" lieber in neue, erweiterte Klangdimensionen.

Denn es waren nicht nur der verschwenderische Melodienreichtum, die glückselig machende Mehrstimmigkeit, die Magie der Natur feiernden Songs in der Tradition von Neil Young oder Gram Parsons, die den Hörer auf "Fleet Foxes" überfallartig begeisterten. Nein, auch der üppig arrangierte, dichte Gesamtsound trug seinen Teil zur Überwältigung bei. Dieser wird nun - ähnlich wie auch einige klassische Songstrukturen - aufgebrochen, ja fast aufgelockert. Die musikalischen Zeit- und Raumkoordinaten (Folk/Americana/Westcoast-Pop der späten 60er-, frühen 70er-Jahre) bleiben auf "Helplessness Blues" unverändert.

Das Album begeistert aber auch durch durchdachte Studioarbeit und bewusst inszenierte Räume: Gesang, vor allem aber eine Vielzahl neu ins Spiel gebrachter Instrumente (Zither, Klarinette, tibetanische Klangschalen und vieles mehr) sind komplex angeordnet und werden - sicher auch dank Produzent Phil Ek (Band Of Horses) - bestens ausgeleuchtet. Eine songtechnische Entsprechung zum Aufbruch zu neuen ausgefeilteren Klangdimensionen gibt's dann auch: Das mehrteilige "The Shrine / An Argument" beginnt als vertraut wirkendes Traditional (man denke an "Scarborough Fair / Canticle" von Simon And Garfunkel), steigert sich zu voller Folkrock-Blüte, um dann in schräg quietschendem Free Jazz zu enden. Das ist - wenn überhaupt - das einzige Manko des Albums: Ein oder zwei ähnlich gelungene Songexperimente hätten dem Album gut gestanden.

Ein bisschen Mehr geht doch: Neben den Folkrock-Songs überzeugen nun auch Instrumentierung, Arrangements und Klangbild.

#Niels Tenhagen

Bella Union / Cooperative Music / Universal

© Archiv
Unni Wilhelmsen
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Unni Wilhelmsen "7"

Gar bei Album Nummer 7 angekommen ist die Kollegin Unni Wilhelmsen - die aber hierzulande noch in der Liga der Geheimtipps spielt. "7" zeigt die 40-jährige Multiinstrumentalistin aus Oslo als klassische Songwriterin mit einem Faible für elektroakustische Arrangements; hier Banjo, Dobro oder Pedal Steel Guitar, dort die Loops und Soundscapes.

Und mittendrin die bewegliche, mal glockenklare, mal eher verhangene Stimme von Unni Wilhelmsen. Ein neunköpfiges Musiker-Team umspielt diese Grundkonstellation stimmungsvoll. Die Tontechnik stellt das Geschehen auf eine vergleichsweise kleine Bühne und setzt auf ein intimes Zusammenspiel - eine Wohltat angesichts des überstrapazierten "weiten Raumes", der allzu oft als alleiniges Klangideal gilt.

#Christof Hammer

St. Cecilia / edel

© Archiv
Montmorensy
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Montmorensy "Writ In Water"

Fast schon episch-weitläufig sind schließlich die Klangpanoramen, die der australische Soundtüftler Paul Hankinson alias Montmorensy auf "Writ In Water" inszeniert. Sein Klassik-Pianopop- Crossover kennt die großen Bs der Musikszene von Bach bis zu den Beatles und Brian (Wilson) auswendig.

Entsprechend opulent wurde dieser musicalartig- psychedelische Symphonic-Pop in Form gegossen: Montmorensys von Holz- und Blechbläsern, Harpsichord, Glockenspiel und Kirchenorgel, großem Orchester und mehrfach gedoppelten Vokalparts bewohnten Klangräume öffnen sich in die Raumtiefe - hier können Verstärker, Boxen und Quellgeräte mal wieder so richtig zeigen, was sie in Sachen Durchzeichnung und Dynamik zu bieten haben.

#Christof Hammer

Traumton / Indigo

© Archiv
Keren Ann
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Keren Ann "101"

Keren Ann entwickelte seit ihrem Debüt ("La Biographie de Luka Philipsen" (2000), das sie gemeinsam mit Benjamin Biolay schrieb) eine ganz eigene, weltgewandte musikalische Sprache, die jetzt mit ihrem sechsten Album "101" kaum noch als Neo-Folk bezeichnet werden kann. Denn inzwischen grenzt sich Ann nicht nur sprachlich - auf "101" singt sie auf Englisch -, sondern auch rein musikalisch vom "Nouvelle Chanson" früherer Tage ab. Und auch die anfangs gezogenen Vergleiche zu Francoise Hardy, Cat Power oder auch Beth Orton sind kaum noch nachvollziehbar. Denn die stets mit ihrem Lolita-Image kokettierende Künstlerin hat zu jenen "großen Vorbildern" längst eine ausreichende Distanz erreicht.

So ist Keren Ann auf ihrem neuen, komplett in Eigenregie geschriebenen und produzierten Album kaum noch richtig greifbar. Sicher: Im Kern handelt es sich bei den Songs auf "101" um melancholisch gehauchte Nummern, die mit leiser Stimme und kontrollierter Emotion vorgetragen werden. Im Hintergrund jedoch wechselt das Klangbild ständig zwischen leicht elektronisch rekonstruierter E-Musik und minimalen Indieund Folk-Versatzstücken.

Dass dabei wie beim Opener, der ersten Single "My Name Is Trouble", ein Song durchaus als melodiöser Ohrwurm hängen bleiben kann, scheint da fast eher Zufall zu sein.Und dies ist eine Charaktereigenschaft, die sich im weiteren Verlauf der räumlich perfekt abgemischten Platte noch ein paar Mal in mehr oder weniger ausgeprägter Intensität wiederholt. Viel mehr kann man aus Stimme und Akustikgitarre nicht herausholen.

Zunächst unscheinbar, dann aber um so einnehmender: Keren Anns Song bleiben im Gedächtnis, ohne dass man die Gründe klar benennen kann.

#Klaas Tigchelaar

Capitol / EMI

© Archiv
Madeleine Peyroux
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Madeleine Peyroux "Standin' On The Rooftop"

Bereits mit ihrem letzten Album "Bare Bones" zeigte Madeleine Peyroux selbstbewusst, dass sie mit ihren Songwriter-Qualitäten mittlerweile ganze Alben füllen kann. Da machte sie sogar neben Steely-Dan-Mastermind Walter Becker eine gute Figur. Auf ihrem sechsten Werk "Standing On The Rooftop" nimmt sie sich unter anderem ganz selbstverständlich Ex-Stones-Viersaiter Bill Wyman und Freestyle-Gitarrist Marc Ribot zur Seite und generiert mit ihnen tiefgründige, spärlich instrumentierte Stücke, deren bescheidene Leichtigkeit - kombiniert mit Peyroux ausdrucksstarker Stimme - sich wie ein roter Faden durch das Material des Albums zieht.

Ihre Vorliebe für Coverversionen, die zum größten Teil ihre ersten Alben füllten, hegt und pflegt die Songwriterin aus Athens, Georgia, jedoch auch auf "Standing On The Rooftop" - wenn auch nicht so ausschweifend wie einst. Ribots bedachtes Banjospiel und der unaufdringliche Bass tragen Peyrouxs Stimme durch die Zeilen von "Martha My Dear" und machen den Beatles-Klassiker zu einem noch intimeren Vergnügen, als er es ohnehin schon ist.

Dylans "I Threw It All Away" wird zu einem lakonischen Americana-Shuffle transferiert, und das melancholische "Love In Vain" von Robert Johnson bekommt, pünktlich zu dessen 100. Geburtstag, eine ganz besondere Würdigung: In gespenstischer, semiorchestraler Begleitung macht Peyroux aus dem altertümlichen Blues eine doomige Ballade, deren Sog man sich nur schwer entziehen kann.

Auch ihre komplett im Alleingang geschriebenen Stücke können sich mehr als hören lassen: "Meet Me In Rio" versprüht abgehangenes wie entspanntes Pool-Bar-Flair, und im Rausschmeißer "The Way Of All Things" schlurft Peyroux samt Band scheinbar lächelnd in den Sonnenuntergang hinein. Wie überhaupt das ganze Album - trotz aller filigranen Kargheit in der Instrumentierung - eine ungeheure Wärme ausstrahlt, ohne dabei jemals mit seiner fein ausdifferenzierten Räumlichkeit und klanglichen Schönheit hausieren gehen zu müssen.

On Top Of The Game: Im Spiel um die Meisterschaft weiblicher Singer/Songwriter nimmt Madeleine Peyroux mit ihrem sechsten Album - musikalisch wie klanglich - eine Favoritenrolle ein.

#Constantin Aravanlis

Yellowbird / edelKultur

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McKinley Black
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McKinley Black "Beggars, Fools And Thieves"

Soundtechnisch wie auch arrangementseitig etwas stärker coloriert kommt da "Beggars, Fools And Thieves" von McKinley Black daher. Die in Berlin hängengebliebene Singer/Songwriterin aus Massachusetts inszeniert auf ihrem Albumdebüt für Günters PaulersStockfisch-Label ihre feinen Folk-Blues-Country-Kompositionen mit einem breiten Instrumentarium zwischen Klarinette, Dobro, elektrischen und akustischen Gitarren sowie den Streichern des Geigenhof-Quartetts.

Wer Ladies von Tracy Chapman über Melissa Etheridge bis Bonnie Raitt schätzt, liegt hier richtig. Günter Pauler konfigurierte dazu einen präsenten Sound: federnd im Bass, vollmundig in den Mitten, fein perlend in den Höhen. Der Vergleich zwischen der bereits sehr guten CD-Spur und der Stereo-SACD ist (fast) Geschmackssache: anspringend direkt die CD, etwas analytischer und präziser die SACD - die allerdings in Sachen Bassfestigkeit, Bühnentiefe und Fokussierung der Instrumente die Nase doch einen Tick vorne hat.

#Christof Hammer

Stockfisch / in-akustik

© Archiv
Hercules & Love Affair
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Hercules & Love Affair "Blue Songs"

Schon die ersten beiden Songs zeigen auf, dass sich Butler nach wie vor geschickt zwischen den Genres bewegt. Wo der Opener "Painted Eyes" mit seinen Streichern fast zart anmutet, findet "My House" mit Synthie-Fetzen und dem übersteuerten Maschinengewehr-Beat betont in der Gegenwart statt - auch wenn die kurze Klavier-Hook im Refrain deutlich Richtung Tanzmusik der 90er-Jahre weist.

Im weiteren Verlauf bleibt das Album eklektisch, was sicher auch am Personal liegt: Anstatt Tim Goldsworthy, Routinier beim amerikanischen DFA-Label, produzierte der Österreicher Patrick Pulsinger. Auch seiner feinfühligen Arbeit verdankt das Album sicherlich seine klare, äußerst transparenten Klangsprache - jenseits der Effekthascherei.

Und auch bei den Sängern gibt es Neues zu vermelden. Aerea Negrot, dem Vernehmen nach eine transsexuelle Venezuelanerin, übernimmt einige Stücke, und ein gewisser Shaun Wright, der auf einem Hercules-Konzert entdeckt wurde, führt diverse Male sein zart schmelzendes Soul-Organ vor - seine beste Leistung liefert er in "Falling" ab, einer Disco-Hymne mit satten Bläsern und klackernder Kuhglocken-Percussion, die geradezu danach schreit, geremixt zu werden.

Ebenfalls erwähnenswert ist der Gastbeitrag von Bloc-Party-Mann Kele Okereke. Sein "Step Up" ist ein spannend und vielschichtig inszenierter Popsong, dessen Hookline abermals herrlich housig daherkommt und einen schönen Kontrast zum unsicher-klagend wirkenden Refrain setzt.

Erwartungen erfüllt: Diese Songs sind Disco - aber auch perfekt inszenierter Pop.

#Jochen Overbeck

Memphis Industries / Cooperative Music / Universal

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David Munyon
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David Munyon "Pretty Blue"

Stockfisch-Labelchef, -Produzent und -Tonmeister Gunter Pauler behält seine Finger (und Emotionen) immer unter Kontrolle am Mischpult - ein Faible für eine farbsatte, milde, runde Klangsprache aber gehört bei ihm einfach zum guten Ton.

So gesehen ist das neue Album seines Schützlings David Munyon eine typische Stockfisch- (und Munyon-) Produktion: "Pretty Blue" ist herbstlichvollmundig und warm ausgeleuchtet im Sound und musikalisch bewährt gefühlvoll zwischen Folk, Blues und Americana- Elementen platziert. Mit sonorer Bassstimme erzählt der Songwriter aus Newport, Rhode Island, bittersüsse Liebes- und Familiengeschichten und dichte Roadmovie-Szenarien und lässt sich tief in seine Vagabunden-Seele schauen - eine feine Songsammlung in der Tradition von Kollegen wie Townes Van Zandt, Willie Nelson oder Allan Taylor.

#Christof Hammer

Stockfisch / in-akustik

© Archiv
Climatic
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Climatic "Ancora"

Wenn man schon so richtig mit den Reglern und der Studiotechnik spielt, dann bitte so wie der Soundtüftler Volker Dorsch alias Climatic.

Dessen an Kollegen wie die Nighthawks oder Kruder & Dorfmeister erinnernder Mix aus Downbeats, ambienten Vocal- und Pianoparts und lässigen Dubsounds bleibt musikalisch zwar arg im Ungefähren und tritt einfach nur als smarte, schmeichlerische Lounge Music auf.

Auf tonaler Ebene aber fasziniert "Ancora" dank einer breiten Palette an Effekten und unterschiedlichen Soundebenen als raffinierte, üppig blühende Klanglandschaft und tönt so akkurat abgezirkelt und lupenrein sauber, als wäre im staubfreien Raum einer Mikrochip-Fabrik produziert wurden.

#Christof Hammer

4mpo / Intergroove

© Archiv
About Group
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About Group "Start & Complete"

Als Alexis Taylor unlängst erste Interviews zu "Start & Complete" gab, war er ungehalten. Der Grund: Eine US-Musikzeitschrift hatte den Stilmix der Band zerrissen, sie lediglich als Vehikel für die Songs des Hot-Chip-Mannes abgeheftet.

Auf den ersten Blick mag das so wirken, ist doch Taylor das Mitglied der About Group, das die größte Prominenz besitzt. Jedoch sollte man ein Zweites nicht vergessen: John Coxon spielte unter anderem bei den 90er-Shoegazern Spiritualized, war aber auch der Mann hinter dem Pop-Projekt Betty Boo. Vor allem ist er der Einzige des Vierers - weiterhin sind noch Charles Hayward (This Heat) und Session-Musiker Pat Thomas dabei - der bereits in den legendären Abbey Road Studios arbeitete.

Das ist wichtig, weil "Start & Complete" hier entstand, und zwar in der zumindest für diesen Aufnahmeort schwer rekordverdächtigen Zeitspanne eines Tages. Da sollte man eine gewisse Orientierung besitzen, ein Wissen um den Klang der vorhandenen Instrumente. Dennoch: Es ist bemerkenswert, was die About Group da in gerade einmal zwölf Stunden einspielte. Die von Alexis Taylor geschriebenen Songs wurden von seinen Mitmusikern gerade aufgrund der Nicht-Vertrautheit mit dem Material spannend, dynamikreich und präsent inszeniert.

Eine summende Soul-Orgel, nicht übertrieben präzises, aber immer angenehm reduziertes Drumming, dazu allerhand Wummerndes und Wimmerndes aus dem Freejazz- und Avantgarde-Bereich gibt den Stücken, die sich kompositorisch viel vom Blue Eyed Soul der 60er-Jahre holen, eine interessante Note. Verblüffend ist, dass die Stücke nie ausfransen. "A Sinking Song" oder "Rough & Smooth" bleiben stets Popsongs, auch im Sinne ihrer Spieldauer. Nur einmal nehmen About Group die Improvisation als Triebfeder, versuchen sich einer Komposition über Mantra und Wiederholung zu nähern: Der Soul-Klassiker "You're No Good" wird auf elf Minuten gestreckt und erinnert damit in der Formatierung an die Version des US-Minimal-Music-Komponisten Terry Riley.

Konzentration in der Aufnahme, Konzentration im Klang: eine spannende und überraschende Soulpop-Platte mit Freigeist-Appeal.

#Jochen Overbeck

Domino / Indigo

© ARchiv
Siiri Sisask
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Siiri Sisask "Lingua Mea"

In der Liga der hörenswerten Sängerinnen zwischen Jazz, Pop und Songwritertum gibt oft Skandinavien den Ton an. Jetzt gilt es, den Blick etwas nach Osten zu weiten, nämlich ins Baltikum - genauer: nach Estland. Dort liegt die Heimat von Siiri Sisask. Mit "Lingua" Me" legt die seit 1996 aktive Sängerin und Komponistin nun ihre vielleicht ambitionierteste Produktion vor: Mit ihrem Landsmann, dem Pianisten Kristjan Randalu, drei weiteren Begleitern plus einem Streichquartett entstanden zehn Songs zwischen Avantgarde, nordischem Jazz und ethnisch grundiertem Folk.

Sisaks Vocals schwanken zwischen klarem Sopran und dezentem Alt, reichen aber auch in die Grenzbereiche zwischen Lautmalerei, Scatt und Improvisation hinein. Dabei verleiht der Klang der Sprachen (gesungen wird auf Estnisch, Mongolisch, Koreanisch und in dem estnisch-russischen Dialekt Setu; das Booklet enthält Übersetzungen) der Musik eine exotische Aura, die durch mutige Arrangements verstärkt wird: Carsten Netz an Saxophon und Klarinette zeichnet mal ruhige, Jan-Garbarekartige Linien, mal fast gespenstische Klangfärbungen. Oliver Potratz (Kontrabass) und Paul Wittgen (Schlagzeug) stricken komplexe Rhythmen zwischen fulminanten Drive und tänzerischer Leichtigkeit, und die Streicher verbreiten fast expressionistische Stimmungen.

Und Kristjan Randalus Pianospiel reicht von Kammermusik-Raffinesse bis zu kraftvoll-jazzigen Soli. Johannes Wohlleben kümmerte sich in den Ludwigsburger Bauer-Studios um Aufnahme, Mix und Mastering und schuf ein gleichermaßen erdig-rudimentäres, feierliches wie auch atmosphärisch ausdrucksstarkes Klangbild; straff im Bassbereich und weit ausschwingend in den Höhen. Und das vorwiegend akustische Instrumentarium wurde raffiniert mit vereinzelten elektronischen Loops verzahnt.

#Christof Hammer

Jazz 'N Arts / in-akustik

© ARchiv
Kathrin Scheer
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Kathrin Scheer "Rare"

Auch wenn die bunten Blätter längst zu Boden gefallen sind: "Rare", das Debüt der Kölnerin Kathrin Scheer, dieser zum Klang gewordene Herbst, diese leise im Wind gaukelnden bunten Notenblätter, dieses Kleinod aus innerer Ruhe und großen Gesten, aus sanftem Jazz und schönen Popmelodien, sollte - auch in der anstehenden kalten Jahreszeit - bitte nicht einfach an der breiten Masse vorüberschweben.

Man sollte ein feinmaschiges Schmetterlingsnetz dabei haben, mit dem man die besonders zarten Ideen und fein gewebten musikalischen Motive und Themen einfängt. Denn Kathrin Scheer, einst Gewinnerin des Bundesrock- und Popwettbewerbs in der Kategorie "Beste Sängerin", zeigt auf "Rare" den selten gewordenen Mut zur fragilen Ruhe. Die 31-Jährige entdeckt die Langsamkeit und verquickt in ihr gefühlvoll sanft jazzige Tonfarben mit poppigen, großen Gesten. Und viel fehlt nicht: Mit ein paar mehr Geigen, mit mehr Hall oder mit einer weniger unaufgeregten Grundhaltung hätten einige Songs auf "Rare" glatt eine emotionale Schnulze ergeben.

Doch die würdevoll-distanzierte Art Kathrin Scheers, das klare Piano und ihre passionierte Melancholie befreien ihre Kompositionen komplett vom Kitschverdacht. Das ausbalancierte Minimal-Instrumentarium, das auch einer singende Säge oder eine Posaune Einlass gewährt, wenn Rhodes/Piano, Schlagzeug und Bass nicht mehr reichen, spielt mit den Gegensätzen von drängender Dynamik und eleganter Zurückhaltung. Einzig und allein Wärme will "Rare" nicht unbedingt versprühen, bei aller klanglichen Transparenz wirkt der Sound etwas zu kühl und zu klar, fast schon abgeklärt.

Das ist aber kein Manko. Die Absolventin der Kölner Musikhochschule konzipiert ihre Musik zwischen Jazz-Improvisation und Songwriter-Intimität eben auch mit gehörigem musikalischem Intellekt, der Pop-Hörer auf notwendiger Distanz hält. Bleibt noch lobend zu erwähnen, wer Scheer so kunstvoll begleitet: Olaf Drewes (Piano), Markus Bender (Bass) Heiko Braun (Drums, Percussion), Frederik Köster (Flügelhorn) und Til Schneider (Posaune).

Ein - im wahrsten Sinne des Titels - "kostbares" Kleinod zwischen Pop und Jazz.

#Rolf Schneider

Traumton / Indigo

© ARchiv
Friend 'N Fellow
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Friend 'N Fellow "Discovered"

Natürlich: Bei einer schmalen Instrumentierung, nur Stimme und Gitarre - da sollte ein sauberes Klangbild eigentlich keine große Affäre sein. Was will die Tontechnik da schon falsch machen? Doch umgekehrt wird ein Schuh draus: Auch ein ganz normaler Gitarrenkorpus will so voluminös und warm erst einmal abgebildet sein, das Spiel auf Stahl- oder Nylonsaiten will erst einmal so plastisch vor das Auge des Hörers treten wie in dieser Produktion, die den Raum mit Eleganz und Sinnlichkeit förmlich flutet, ohne dabei je übertrieben geschminkt zu wirken.

Erneut also glänzen Constanze Friend (voc.) & Thomas Fellow (git.), ihr Labelchef Thomas Ruf (Produktion) und Mohi Buschendorf (Tontechnik) mit einer audiophilen Referenzaufnahme, die dazu noch mit enormer Dynamik und schön trockenem, nur minimalem Nachhall punktet. Und mit einem raffinierten Mix aus Pop, Soul und Jazz natürlich: Denn auch musikalisch ist die (nach dem 2005er-Album "Covered") zweite Friend 'N Fellow-Cover-Revue vollgepackt mit Song-Klassikern. Diesmal auf dem Programm zum Beispiel: Lou Reeds "Walk On The Wild Side", "Moondance" von Van Morrison oder Pophits wie Tears For Fears' "Shout" oder die Coldplay-Perle "Clocks" - bestens bekannte Ohrwürmer allesamt, denen Friend mit umwerfend viel Soul, Jazz und Blues in der Stimme einen neuen, verblüffenden Look verleiht.

Dass Joni Mitchell als Einzige mit zwei Kompositionen vertreten ist ("Both Sides Now", "A Case Of You"), ist natürlich kein Zufall - sondern eine von Herzen kommende Verbeugung vor der großen alten Dame. Und um den Originalitätspreis streiten sich eindeutig Johnny Cashs "Ring Of Fire" (in einer rasanten Kurzversion, die AUDIO-Leser schon von der KEF-CD aus Heft 1/2011 kennen) und Queens "Crazy Little Thing Called Love" - hier wie da ist es Thomas Fellow, der mit leichtfüssig gezupften Arpeggien und Ostinati den Hörer förmlich schwindelig spielt.

#Christof Hammer

Ruf / in-akustik

© Archiv
Sarah Nixey
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Sarah Nixey "Brave Tin Soldiers"

Luke Haines ist ein boshafter Mensch. Ein vielleicht größerer Zyniker als Morrissey. Und es ist natürlich wenig charmant, wenn der Ex-Auteurs-Chef in seinem - sehr lesenswerten - autobiografischen Britpop-Abgesang "Bad Vibes" behauptet, dass es nur einen einzigen Grund gab, warum er Sarah Nixey bat, bei seiner Band Black Box Recorder zu singen: Alle Männer würden ihr zu Füssen liegen. Nun, ihre Stimme ist in der Tat ruchlos erotisch, zärtlich verführend, abweisendkühl und dominant. Ihr zweites Soloalbum "Brave Tin Soldiers" lebt auch von diesen Qualitäten - hat aber mehr (audiophile) Reize zu bieten.

Denn Nixey geizt nicht mit ihren Talenten: Sie ist nicht mehr die Überbringerin bitterböser Botschaften ("Life is unfair / Kill yourself or get over it" aus Black Box Recorders "Child Psychology"). Sie ist in ihren eigenen Songs genaue Beobachterin, sie verkörpert das einsame Mädchen genauso überzeugend wie das Entführungsopfer, das unter dem Stockholm Syndrom leidet, und die weinselig-unglückliche Ehefrau. Und trübten bei ihrem Debüt "Sing, Memory" (2007) noch Wave- und Disco-Pop-Ausflüge das Klangbild von Nixeys unterschwellig düster dräuenden Geschichten von Liebe, Lust und Tod, setzt sie nun ihre Rollenspiele bestens in Szene.

Kurz vor der Sperrstunde im Pub am Ende der Welt, in einer 60er-Jahre-Kaschemme, in der gespenstischen schottischen Einöde - dort siedelt Nixey ihre atmosphärischen Songs an. Und egal, ob mit kleinem Besteck (Piano, Akustikgitarre) oder größerem Tamtam (Schlagzeug und Streichquartett), die Britin taucht ihre Leiden und Laszivitäten dabei stets in ein klanglich warmes, stets ausgewogenes Rotlicht. Eine Diva auf einer große Bühne? Nein, nur ein kleiner Scheinwerfer strahlt auf Nixeys stets perfekt ausgeleuchtete Stimme.

Luxuriöse Melodien, dezente Inszenierung, markante Stimme: Wer nach Vergleichspunkten sucht, darf an Saint Etienne, vielleicht sogar Kate Bush denken. Nicht zuletzt aber auch an das Debüt von Black Box Recorder. Nur dass anstelle von Haines Bösartigkeiten Nixeys ebenfalls sehr britische Sophistication tritt.

Die sexy Schulmeisterin des "Britpop" ist zurück: Sarah Nixey emanzipiert sich als Songwriterin.

#Stefan Weber

Black Lead / Cargo

© ARchiv
June Tabor
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June Tabor "Ashore"

Derselbe Jahrgang (1947), eine ähnliche musikalische Vita: Neben Maddy Prior, der Frontfrau des Musikerkollektivs Steeleye Span, und der 1978 viel zu früh verstorbenen Fairport- Convention-Ikone Sandy Denny zählt auch June Tabor zum Dreigestirn der führenden, im positiven Sinn traditionsbewussten englischen Folk-Sängerinnen.

Für ihr neues Album versammelte die Lady aus Warwick nun Lieder mit maritimem Hintergrund zu einem so federleichten wie intensiven, auch über fast 70 Minuten noch fesselnden Songzyklus: Angelsächsische Traditionals und frankophile Chansons stehen auf dem Spielplan, Songs von eher unbekannten Autoren wie Cyril Tawney oder Ian Telfer, aber auch Bekannteres wie Elvis Costellos Ausnahmeballade "Shipbuilding".

Geografisch führt die Reise von den Orkney-Inseln über das bretonische "Finisterre" und Gibraltar bis hin nach "Jamaica"; stilistisch bestimmen erdig-melancholische bis kunstvoll reduzierte Folkklänge den Kurs. Immer wieder setzen Fiddle und Akkordeon kräftige Akzente, andererseits zeichnet insbesondere Huw Warren mit subtil angeschlagenen Linien am Steinway-Flügel geradezu minimalistische Kammerfolk-Stimmungen. Und June Tabor wendet mit ihrer mächtigen, gelegentlich ins Mezzosopran hinaufreichenden und stets emotional kontrollierten Altstimme die dramatischen Stimmungen und Themen ihrer Lieder ins Kontemplativ-Feierliche.

Inszeniert ist das alles in einer geschliffen feinen Klangsprache: Toningenieur Martin Levan verwebt das Zusammenspiel aller Instrumente mit der tendenziell eher engen Raumakustik des wahrscheinlich nicht ganz billigen Ret-Kite-Studios im walisischen Llanwrda zu einem Sound voller Ruhe und natürlicher Noblesse - etwas Luftigkeit in den eher üppig arrangierten Passagen inklusive. Details verrät das Booklet zwar nicht, aber vermutlich wurde live im Studio aufgenommen: Piano, Violine, Akkordeon oder Kontrabass tönen wie bei einer Bühnenaufstellung im richtigen Maß seitlich und vertikal versetzt, die Register des Akkordeons atmen und schnaufen förmlich vor dem Auge des Hörers, alles klingt wunderbar organisch - und sorgfältig abgemischt zugleich.

#Christof Hammer

Proper / Rough Trade

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