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Mekka der Motorensounds

Ferrari Racing Days - Der Sound der Formel 1

Wer glaubt, er hätte schon alles gehört, der muss einmal im Leben die Ferrari Racing Days ohne Ohrenschützer erleben. Wir wagten den Selbstversuch - mit unerwarteten Folgen.

Autor: Stefan Schickedanz • 4.10.2013 • ca. 3:45 Min

Ferrari Racing Days
Al Dente: Dieser Ferrari-Rennwagen hat Biss.
© Stefan Schickedanz

Da verwöhnt man seine Ohren das ganze Jahr mit den teuersten High-End-Anlagen, gönnt ihnen eine wohldosierte Portion Pavarotti, Marcus Miller oder Elvis Costello. Und dann das: Geballte Dezibel im deutlich dreistelligen Bereich schicken sich an, die Trommelfelle zum Platzen zu bringen, das Zwerchf...

Da verwöhnt man seine Ohren das ganze Jahr mit den teuersten High-End-Anlagen, gönnt ihnen eine wohldosierte Portion Pavarotti, Marcus Miller oder Elvis Costello. Und dann das: Geballte Dezibel im deutlich dreistelligen Bereich schicken sich an, die Trommelfelle zum Platzen zu bringen, das Zwerchfell zu massieren und die Empfehlungen der Berufsgenossenschaft für Gehörschutz zu pulverisieren.

Zwar hat mir ein wohlmeinender Vertreter von Harman - sie beliefern Ferrari tatsächlich mit aufwändigen JBL-Pro-Audio-Systemen - zu Beginn des Events vorsorglich Ohrenstöpsel in die Hand gedrückt. Doch heute gebe ich den Odysseus, der sich den Sirengesängen hingibt - und wenn es mein letzter Hörtest wird. Ich will die ganze Packung italienischer Lebensart ungefiltert auf mich wirken lassen. Will im Sound baden, will mir den letzten Funken Verstand, den man sich als Motorenfreak bewahrt hat, noch rausblasen lassen.

ferrai racing days
Italian Dressing: Bei der Mutter der Ferrari-Events versucht jeder so auszusehen wie ein Ferrari-Mechaniker. Vorbilder wie diese drei Herren gibt es an jeder Ecke, denn Ferrari betreut seine Kunden-Renner mit Werks-Know-how.
© Stefan Schickedanz

Wenn es eine Hölle für Autohasser, Radfahrer, Elektro-Enthusiasten und andere Kostverächter gibt, dann liegt ihr Epizentrum hier, in der Boxengasse des Hockenheimrings. Und wenn es einen Himmel für die letzten unerschrockenen Anhänger einer über ein Jahrhundert alten Fortbewegungskultur, für (ver)brennende Verehrer fossiler Kraftstoffe und alle Motor-Maniacs gibt, dann beginnt er ebenfalls hier. Denn durch diese frivole Gasse müssen sie kommen. Alle Matadoren, die ihr mehr oder weniger sauer verdientes Geld statt in Aktien und Immobilien lieber publikumswirksam in Autokult aus Maranello investieren, ganz gleich, ob sie bei den Straßenautos, dem XX-Rennprogramm oder dem megaexklusiven F1-Kundenprogramm starten.

Ferrari Racing Days 2013 -- Sound of the F1 cars

Quelle: Stefan Schickedanz
2:35 min

Wer wissen will, was an Auto- und Uhrenmode angesagt ist, sollte sich hier umsehen. Was die übrige Mode betrifft, gibt es hier für den Rest der Welt ausgesprochen wenig Inspiration. Ferrari hat eine Art Kommunismus etabliert, die totale Gleichschaltung im Zeichen des springenden Pferds. Nur, dass die Nivellierung weder unter Zwang noch auf niedrigem Niveau stattfindet. Ob Mechaniker oder Multimillionär spielt keine Rolle: Man trägt Rot. Frau auch. Überhaupt gilt hier offenbar die Devise, inmitten der internationalen roten Bewegung nicht aufzufallen.

Die besten Auto-Songs aller Zeiten

Wenn russische Oligarchen, Investmentbanker und Milliardäre einmal selbst beherzt ins Lenkrad greifen, wollen sie dabei lieber anonym bleiben. In den Boxen sieht man praktisch nur die von Ferrari gestellten Techniker, die akribisch mit der Vorbereitung der Boliden befasst sind. Die Fahrer schleichen sich dann sozusagen in letzter Minute durch die Hintertür ein. Wer beispielsweise unter Leitung des Formel-1-Profis Marc Gene eine Rennsaison mit einem mindestens zwei Jahre alten Werksauto aus der Königsklasse gebucht hat - unter der Hand hört man von saftigen Millionenbeträgen - bekommt ein Rundum-Wohlfühlpaket inklusive einer wohldosierten Packung Nervenkitzel. Als Gleicher unter Gleichen, auch wenn einige gleicher sind als die anderen (nur zu erkennen an der Farbe des obligatorischen Bändchens am Handgelenk).

ferrari racing days 2013
Rot-Dienst: Die Kundenrenner des ambitionierten XX-Programms werden von Werksmechanikern umsorgt wie Michael Schumacher in seinen besten Zeiten.
© Stefan Schickedanz

Doch auch Normalverdiener können außer der Erkenntnis, dass es noch sehr viel Raum für Steigerungen gibt, etwas mitnehmen. Einmal auf Tuchfühlung mit Traumautos, die nicht nur protzig übers Boulevard gequält, sondern als artgerechter Auslauf richtig ans Limit gebracht werden.

Hörtest in der Boxengasse

Hautnah an einem Sound, der so unnachahmlich ist wie die Stimme des legendären Luciano Pavarotti. Das hat Suchtpotenzial und ist der gemeinsame Nenner der Pretiosen aus Maranello. Dieser stählerne, klare, kraftvolle Tenor, das macht den Italienern keiner nach. Vergiss die Kläppchen in den Auspüffen deutscher Sportwagen, die sich mit der Sport-Taste öffnen lassen. Alles kalter Filterkaffee. Bereits die Straßenautos von Ferrari brüllen um die Wette, dass einem wohlige Schauer den Rücken herunterlaufen. Da hast Du nur eine Frage: Sind die TÜV-Leute taub, oder ebenfalls dem Zauber erlegen?

ferrai racing days
Red Heat: Statt sie ins Museum zu schicken, lässt Ferrari Milliardäre mit seinen ausgedienten Formel-1-Autos in einer Kundenrennserie gegeneinander antreten. Sehr zur Unterhaltung des Publikums.
© Stefan Schickedanz

Beim Schaurennen des XX-Programms mit speziell werksgetunten Serienfahrzeugen hast Du spätestens keine Fragen mehr. Und beim Formel-1-Rennen mit den Youngtimern stockt einem Autonarren prompt der Atem. Man will gar nicht glauben, dass es sich noch um Kolbenmotoren handelt, wenn sie am Ende von Start und Ziel mit vollem Schub auf den Anbremspunkt der Nordkurve vorbeidüsen. Das müssen Turbinen sein.

Dazu gibt es nur eine Steigerung: Sich beim Warmup in der Box direkt hinters Auto stellen. Das gleicht einem Orkan. Eine Druckwelle heißer Luft erfasst dich. Beim Gaswegnehmen schlagen dir Flammen entgegen. Beim Gasgeben durchdringt dich ein Ton, der nichts gleicht, was ich jemals auf Erden gehört habe. Einerseits so grausam, so brutal, so infernalisch laut. Dante lässt grüßen. Andererseits irgendwie ausgewogen, musikalisch und geradezu süchtigmachend schön. Aber diese Schönheit kannst Du nicht in Worte fassen, nicht erklären. Eine schmale Gratwanderung zwischen dem Gebrüll eines wilden Tieres und dem Turbinenfauchen eines High-Tech-Kampfjets. Eine akustische Droge, die Dich dazu bringt, Deine Fluchtreflexe zu übersteuern, zu verharren in der Hitze und dem Lärm, wo Du es unter anderen Umständen keine zwei Sekunden aushalten würdest. Du stehst nur da mit offenem Mund und saugst es ein, das süße akustische Gift und denkst an Odysseus bei den Sirenen.

Das Traurige daran: Wenn die Entwicklung so weiter geht, werden unsere Nachkommen diese Naturereignisse namens Ferrari-Verbrennungsmotor nur noch vom Hörensagen kennen. Das Gute daran: Homer hab ich verpasst, aber diesmal war ich dabei - das kann mir keiner mehr nehmen. Auch wenn wir eines Tages nur noch in Car-Sharing Elektroautos mit Autopilotfunktion durch die Gegend schnecken...