Testbericht
Lautsprecher Thiel SCS 4
Manche Boxen sehen traumhaft aus, manche klingen zuckersüß, und viele sind extrem laut. Die neue SCS 4 (2400 Euro das Paar) von Thiel hat solche Ablenkungsmanöver nicht nötig: Sie klingt einfach natürlich.
- Lautsprecher Thiel SCS 4
- Datenblatt

Aus der Sicht von Marketing-Experten verläuft die Einführung der SCS 4 von der amerikanischen Kultmarke Thiel denkbar ungünstig: Vorgestellt wurde die hochgewachsene Kompaktbox bereits im Herbst 2006, doch lieferbar ist sie erst jetzt, fast zwei Jahre später.

Der Paarpreis von 2400 Euro für diesen technisch hochinteressanten Lautsprecher erscheint günstig, sehr zur Freude der Kunden. Doch was nützt ein spannendes Produkt, wenn der Adressatenkreis mangels Propaganda und Messeauftritten (für kleine Hersteller wie Thiel oftmals kaum erschwinglich) zu spät oder gar nicht von seiner Existenz erfährt?
Doch Sorgen, die Szene würde sein jüngstes Produkt übersehen, muss sich Firmengründer und Chefentwickler Jim Thiel glücklicherweise nicht machen, dazu ist sein Ruf bei gut informierten Audiophilen einfach zu gut. Die wissen seine auf Neutralität und Präzision getrimmten Schallwandler auch ohne Werbegetrommel zu schätzen.
Zu Thiels Bewunderern gehört auch das stereoplay-Team. Das Arbeitstier der Tester ist seit seinem Test im Januar 2008 das Flaggschiff der Amerikaner, die große CS 3.7 für knapp 14_000 Euro. Die sagenhaft detailreich und natürlich klingende Standbox hat sich im rauen Testbetrieb schon vielfach als Zünglein an der Waage bewährt.
Parallelen zwischen den Geschwistern sind auf den ersten Blick kaum auszumachen. Zwar sind beide mit einem Koaxial-Chassis bestückt, die jedoch unterschiedlich groß ausfallen und, abgesehen vom baugleichen Hochtöner, kaum vermuten lassen, dass sie vom gleichen Hersteller stammen.

Der Grund liegt in der gänzlich anderen Beschaltung. Während der Koax des Topmodells im Bass von zwei großformatigen Tieftönern abgelöst wird, darf und muss sein SCS-4-Kollege den gesamten unteren Frequenzbereich alleine abdecken. So huldigen beide dem Ideal der Punktschallquelle, nur ist die SCS 4 diesbezüglich noch puristischer, weil bei ihr die Aufteilung im Bass entfällt.
Das größere Aufgabengebiet des SCS-4-Koax erfordert mehr Membranfläche und erklärt so den größeren Durchmesser der äußeren Membran. Seine Trichterform im Gegensatz zur flachen Gestaltung beim Flaggschiff dient einer größeren Stabilität - ein Tribut an die weitaus größeren Kräfte im Bassbereich.
Die sonstigen Grundsätze sind bei allen Modellen gleich. Thiel kombiniert seit jeher lange Luftspalte mit kurzen Schwingspulen, was große Auslenkungen bei geringen Verzerrungen erlaubt. Die Zuweisung der Frequenzbereiche geschieht durch phasensanfte Filter erster Ordnung. Thiel verspricht sich davon eine besonders gute Impulstreue und Räumlichkeit.Labormessungen bestätigen die Richtigkeit der Thielschen Thesen: Wie seinerzeit die CS 3.7 zählt die SCS 4 zu den ganz wenigen Mehrwegeboxen, die ein sprunghaftes Signal zeitlich völlig intakt wiedergeben. Mehr dazu im Kasten unten.
Montiert ist Thiels jüngster Koax-Spross in einer Schallwand aus Aluminiumdruckguss, die den Treiber in geradezu idealer Weise abstützt. Das Gehäuse selbst ist bombenfest versteift und an seinen Kanten auffällig gerundet, was einen deutlichen Beitrag zum vorbildlich glatten Frequenzgang leistet.

Klanglich zählte die Thiel zu der seltenen Spezies, deren Qualität sich dem Anwender auf Anhieb erschließt, auch ohne langes Rücken und sündhaft teure Kabel. Sensible Klangkörper gelangen ihr auf Anhieb extrem natürlich, da waren weder Schönhören noch Eingewöhnung erforderlich.
Wer denkt, eine derart effektfreie Box sei zwangsläufig ein tonaler und dynamischer Langweiler, sollte seine Vorurteile begraben. Wenn die Thiel spielte, war Leben und Gefühl in der Hütte, und ganz offensichtlich hatten die Musiker allergrößten Spaß an ihrem Tun. Mancher Kollege wusste gar nicht so recht, was er mehr bewundern sollte: die enormen Dynamik-Kontraste, zu denen die kleine Thiel fähig war, oder die kaleidoskopartig aufgefächerten Klangfarben.
Hinzu kam eine enorme Wandlungsfähigkeit. Die Raumdarstellung reichte von punktueller Ortungsschärfe bis zu theatralisch dreidimensionalen Panoramen. Ganz offensichtlich folgte die Thiel sklavisch den Intentionen der Tonmeister und nicht dem Diktat zufallsbestimmter Phasenprobleme.

Skeptiker sollten sich und der SCS 4 einfach mal den kürzlich als Hybrid-SACD wiederveröffentlichten Test-Sampler "Depth Of Image, Timbre & Dynamics" (Opus Records, siehe Musiktipp "Die audiophile Pop-CD" in Heft 6/2008) vorlegen. Die Thiel nutzte die mit nur wenigen Mikrofonen eingefangenen Kabinettstückchen zu einer Sternstunde in Sachen Gefühl und Plastizität.
Die zum Vergleich herangezogene, ebenfalls Punktstrahlerbestückte Audiodata Partout (stereoplay 6/2002) konnte sie locker austechen. Die Wettbewerbsbox gab sich tonal ähnlich aufgeräumt, erreichte aber bei weitem nicht das blühende Temperament der Thiel.
Falls noch ein Wunsch zu äußern wäre, dann der nach mehr Pegelreserven für größere Räume und Hörabstände oberhalb vier Meter; das aber betrifft andere Kompaktboxen in gleicher Weise. Andererseits lässt das Temperament der SCS 4 den Wunsch nach mehr "Bums" nur höchst selten aufkommen. Und wer doch gelegentlich mehr Pegel braucht, muss Thiel keineswegs untreu werden. Für solche Fälle gibt es die große Schwester, die legendäre CS 3.7.
Thiel SCS 4
Thiel SCS 4 | |
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Hersteller | Thiel |
Preis | 2400.00 € |
Wertung | 54.0 Punkte |
Testverfahren | 1.0 |