Vorsprung durch Semantik
Bang & Olufsen und Harman setzen auf 3D-Sound im Auto
Auf Kanal und Phase basierende Raumklang-Verfahren haben ausgedient. Auf der CES kündigten B&O und Harman intelligente 3D-Sound-Systeme an, die Musik in Elementarteilchen zerlegen - im Auto.

Ob die 3D-Bildwiedergabe ein Schnellschuss war, der nur einen kurzen Sturm im Wasserglas bewirkte, mögen die Video-Magazine diskutieren. Im reinen Audio-Bereich gab es bisher zwei ungeschriebene "Naturgesetze". Erstens: Der Versuch, der Original-Aufnahme künstliche Räumlichkeit zu verleihen, ging letztlich stets in die Hose. Ob durch Hinzufügen irgendwie errechneter Kanäle, ob Halleffekte oder Echo spielte keine Rolle. Nach Befriedigung des Spieltriebs kam praktisch immer die große Ernüchterung - besonders, wenn es sich um Musik-Software handelte. Deren Reiz lässt sich mit gängigen Verfahren eher ruinieren als mit hinzugerechneten Höhenlautsprechern in eine neue Ebene verlagern.
Zweitens: Das Auto absorbierte zwar inzwischen die wesentlichen UE-Trends, hinkte aber schon allein durch die langen Entwicklungszyklen der einzelnen Modelle dem Wohnzimmer stets hinterher. Und nun das: Fast zeitgleich kündigten Harman und auf der anderen Seite ein Zusammenschluss von Audi, B&O und dem Erlangener Fraunhofer IIS auf der größten UE-Messe, der CES in Las Vegas, zwei revolutionäre neue Raumklangverfahren an.
Beide Lösungen sind objektbasierend, können anders als Pro Logic & Co. einzelne Klangkörper erkennen und von deren Echo und Hall unterscheiden. Diese semantischen, von Psychoakustik geprägten Ansätze die Musik zu verstehen und in ihre Einzelteile zu zerlegen, um diese dann gezielt im DSP mit mehr Kanälen aufzubereiten, starten aber nicht etwa im Heimkino, sondern an der Ampel. Das dürfte einen Paradigmenwechsel bei den Edelmarken in Sachen Audio bedeuten. Damit könnte das Auto zum rollenden Versuchslabor für Soundfreaks werden. Aber auch für den Klang-Gourmet?

Quantum Logic Surround
Dieser Frage gingen wir intensiv nach. Das auf einem Patent von Dr. Gil Soulodre basierende Harman-Verfahren Quantum Logic Surround (QLS) konnten wir bereits letztes Jahr in seiner 3D-Variante im Studio hören. Nun folgte die Audienz bei Audi. Im Kreis aller verantwortlichen Manager hatten wir ausgiebig Gelegenheit, das für den 2014 erscheinenden Q7 vorgesehene Advanced 3D Sound System im Versuchsfahrzeug und in den Münchner Farao-Studios zu hören.
Die Musik-Profis von der Isar unterstützen mit ihrem Know-how sozusagen als Anwälte der künstlerischen und ästhetischen Aspekte das ehrgeizige Projekt. Den treibenden Kräften des ambitionierten Audi-Projekts ging es darum, die gesamte Wiedergabekette vom Musiker über den Musikproduzenten über die Entwickler von Fahrzeug und Software bis zum Lautsprecher- Lieferanten zusammenzubringen. Schon dieser ganzheitliche Ansatz unterstreicht die Ernsthaftigkeit des Projekts.

Dessen Verantwortliche sind sich bereits über ein Jahr vor Serienanlauf im nächsten Audi Q7 so sicher, dass sie sich in Las Vegas Scharen von Besuchern stellten - und nun sogar den kritischen Ohren von AUDIO. In der Redaktion löste das markige 3D-Sound-Versprechen geteilte Reaktion aus. Erwartet uns eine letztlich substanzlose Effekt-Orgie oder beamt uns Audi wirklich in die dritte Dimension?
Audi setzt auf Bang & Olufsen
Die erste Überraschung ließ nicht lange auf sich warten. Im Gegensatz zu Harmans QLS 3D verzichtet das Audi-Konzept auf Lautsprecher im Fahrzeughimmel. Peter Blum, bei Audi für den gesamten Infotainmentbereich verantwortlich: "Das können wir uns im Hinblick auf die Fahrerablenkung gar nicht erlauben." Blum macht wie Audis Audio-Verantwortlicher Denis Crede keinen Hehl daraus, wie wenig er von Surround-Wiedergabe hält, bei der dann die Bläser von hinten kommen. Axel Horndasch und Oliver Hellmuth vom Fraunhofer IIS - verantwortlich für den Algorithmus, der im B&O-DSP-Verstärker mit 1000 Mops die Berechnungen ausführt - wählten gar den Begriff "Horror-Szenario".

Farao- Geschäftsführer Andreas Caemmerer sekundiert: "Musik wie auf der Bühne zu hören, ist das Schlimmste, was es für einen Musiker gibt." Blum machte klar: "Für Audi ist Räumlichkeit kein Selbstzweck, sondern ein Mittel, um Defizite der Hörbühne vor allem in der Höhe zu kompensieren." Außerdem solle die Enge überwunden werden, aber "wilde Sachen" wollten auch die Herren von Fraunhofer auf keinen Fall. Das ließ hoffen. Der eigens für die CES produzierte Trailer erst recht. Allerdings eröffnete der mit 18 diskreten Spuren produzierte Clip die Hörsession im Studio mit sieben BeoLab 5 und elf BeoLab 3 unter der Decke. So war diese Vorstellung eher als Appetithappen im Hinblick auf weitere Anwendungen zu sehen.
Stefan Schickedanz (AUDIO-Autoexperte):
"Unsere neuen TVs haben die nötige Hardware bereits an Bord. Und sie ziehen sich nachts aus dem Internet ihre Softwareupdates" freut sich bereits B&O-Manager Bjarne Sorensen, in Bezug auf neue Aufgaben für den integrierten DSP. Sehr vielversprechend, denn das Intro demonstrierte in Stufen von Mono über Stereo und Surround zu 3D eindrucksvoll, wie sich der Raum immer großzügiger und lückenloser um sämtliche Stuhlreihen ausbreitete. Aber die von einem Filmausschnitt aus "Ironman" gekrönte Einführung setzte mehr auf Intensität und Emotion als auf vordergründige Effekte.
Die Ouvertüre verfehlte nicht ihre Wirkung: Der Autor wollte da raus. Draußen wartete nämlich der Versuchsträger: Ein Q7 mit 23 B&O-Lautsprechern (vier davon oben in den vorderen Dachsäulen) nebst Projektleiter Michael Wisniewski an Bord. Und dessen Demo überzeugte auf ganzer Linie. Bereits im Stereo-Modus fiel eine harmonischere tonale Abstimmung im Mittel-Hochtonbereich auf als in den bisherigen B&O-Advanced- Sytemen. Peter Blum sollte nachher dazu zum Besten geben: "Wir haben B&O ganz schön genervt, die Chassis in diesen Bereichen zu verbessern."
Hörtest
Als Wisnieski mit CD in den 3D-Modus schaltete, hob sich die virtuelle Bühne von der Instrumenten-Ebene über das Armaturenbrett und verharrte dort wie angeschraubt. So nahe kommt derzeit kein anderes Fahrzeug dem HiFi-Ideal aus dem Wohnzimmer beziehungsweise dem Live-Konzert, das ja als Vorbild dient. Selbst Mono-Klassik aus dem Autoradio oder stark komprimierte MP3s bekamen eine keineswegs künstlich anmutende Räumlichkeit mit dezentem Stereo-Eindruck. Dafür störten keine Surround-Effekte, die sich als solche zu erkennen gaben. Alle Instrumente standen vorn auf einer breiten, hohen und klar definierten Bühne.
Bernhard Rietschel (AUDIO-Chefredakteur):
Das ist 3D für Erwachsene. Und sollten hinten Kinder sitzen, befindet sich deren Bühne nicht an der Kopfstütze der Eltern, sondern ebenfalls ganz vorne. Daher beeindruckt das Live-Erlebnis von der Rückbank noch mehr, weil man ja im Konzert auch nicht den Musikern auf dem Schoß sitzt. Endlich lauschen alle Insassen dem gleichen Schall-Ereignis, die langweilige Autofahrt mutiert zum gemeinsamen Konzertbesuch. Damit befindet sich der Prototyp in etwa auf Augenhöhe mit dem Maserati Quattroporte, in dem Harmans QLS in der 2D-Version für stabile Räumlichkeit sorgt - und im Modus "On Stage" für spektakuläre Poser-Effekte.
Natürlich haben die Lautsprecher-Systeme von B&W und B&O daran einen großen Anteil. Dass damit gleichzeitig die beiden modernsten, objektbasierenden DSP-Verfahren an der Spitze stehen, ist jedoch kein Zufall. Es ist der Triumph eines neuen, semantischen Denkansatzes, der Musik nicht nur als irgend so ein Bündel von Schwingungen sieht.