Kommentar zu iOS 8
Apple und die Kunst des Optimierens
iOS 8 wurde präsentiert und wer Apple jetzt das Kopieren zum Vorwurf macht und dann auch noch Innovationen vermisst, hat nicht verstanden, wie die Branche funktioniert und warum der iPhone-Hersteller so erfolgreich ist. Apple macht alles richtig, nervig ist nur die arrogante Präsentation. Das haben sie doch gar nicht nötig.

Nein, Tim Cook konnte es sich wieder nicht verkneifen, kräftig gegen die Konkurrenz auszuteilen, als er gestern auf der Bühne im Moscone Center stand und die WWDC eröffnete. Unter den 130 Millionen Neukunden, die Apple in den letzten 12 Monaten dazugewonnen habe, seien viele Android-Nutzer - und die hätten sich vorher wohl einfach "aus Versehen (by mistake)" für ein Google-Gerät entschieden. Aha.
Groß, größer, Apple
Überheblichkeit ist ein fester Bestandteil der Apple-DNA. Steve Jobs hat sie dem Unternehmen wohl eingeimpft, fast schon legendär ist sein Auftritt bei der iPad-2-Vorstellung Anfang 2011, als er das Jahr kurzerhand zum "Year of the Copycats" erklärte und damit allen anderen Tablet-Herstellern vorwarf, Apple zu kopieren.
Dazu kommen Ankündigungen, die so vollmundig sind, dass niemand sie einhalten kann. In diesem Jahr werde man "revolutionäre Produkte" sehen, erklärte Cook im Vorfeld der WWDC und iTunes-Chef Eddy Cue verkündete gar: "Später in diesem Jahr haben wir die beste Produktpalette in der Pipeline, die ich in meinen 25 Jahren bei Apple gesehen habe".
iOS 8 ist zukunftsweisend
Wer so markig auftritt und dann nicht liefert, darf sich nicht wundern, wenn alle verbal drauflos prügeln. Dabei geht unter, dass Apple genau an den richtigen Stellschrauben gedreht und vor allem sein Ökosystem noch stärker gemacht hat
- iOS wird offener: Entwickler haben noch mehr Schnittstellen (API) zur Verfügung und können ihre Apps noch tiefer mit dem System vernetzen: Apps erhalten Zugriff auf den Fingerabdruck-Sensor, außerdem erlaubt Apple Tastaturen von Drittanbietern
- iOS und Mac OS wachsen enger zusammen: iPhones und Macs synchronisieren sich automatisch, wenn sie in Reichweite sind. Am Rechner begonnene E-Mails können dann zum Beispiel auf dem iPhone einfach weiter geschrieben werden.
- Apple vereinfacht die App-Programmierung mit der neuen Programmiersprache Swift
- Mit HealthKit und HomeKit werden neue Schaltzentralen für Gesundheitsanwendungen und das vernetzte Wohnen eingeführt
HealthKit zeigt exemplarisch, warum Apple so erfolgreich ist: Man beobachtet, wartet, optimiert und veröffentlicht ein Produkt, das bei Marktstart so ausgereift und durchdacht ist, dass die Kunden es sofort annehmen.
Hier wird auch deutlich, dass Apple Experimente scheut. Das iPhone? Sieht seit Jahren unverändert aus. Mac OS X? Ebenfalls. Und während Unternehmen wie Samsung und Sony mit Smartwatches, Fitnesstrackern und Gesundheits-Apps herumprobieren, kommt von Apple lange Zeit: nichts.
Kopieren gehört zum Geschäft
Apple als innovatives Unternehmen zu bezeichnen, ist ein Missverständnis, das wahrscheinlich entstanden ist, weil viele die disruptive Kraft, mit der iPhone, iTunes, App Store und iPad Märkte neu definiert haben, mit Innovation gleichsetzen. Aber disruptiv ist nicht gleich innovativ. Das iPhone war nicht das erste Touchscreen-Telefon, aber es war das erste, das gut funktioniert hat. Das gleiche gilt für das Thema Apps.
Das zweite große Missverständnis betrifft den Vorwurf des Kopierens. Natürlich hat iOS 8 die neue interaktive Statuszeile von Android adaptiert. Und viele Features von iMessage sind von WhatsApp abgeschaut. Das Problem mit dem Kopieren ist allerdings, dass alle es machen, aber keiner es zugibt. Der Tweet von WhatsApp-Gründer Jan Koum lässt tief blicken:
Dabei verschweigt Koum, dass sein Messenger viele Funktionen vom BlackBerry Messenger übernommen hat. Wahrscheinlich hat er das einfach vergessen - er wäre nicht der Einzige. Die gesamte Branche leidet unter kollektiver Amnesie, wenn es darum geht, die Quelle der Inspiration zu nennen.
Halten wir also fest: Apples Stärke liegt nicht in der Innovation, sondern im Optimieren von dem, was andere erfunden haben. Das machen fast alle so. Aber Apple kann es besser als alle anderen, das haben sie gestern wieder gezeigt.


