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Festspielhaus Bayreuth
Musische Höhenflüge und "mystischer Abgrund" - das Festspielhaus Bayreuth ist und bleibt unverwechselbar.

Musikalische Denkmäler haben sich zahlreiche Komponisten gesetzt. Doch Richard Wagner wollte stets mehr als andere. Mit maßgeblicher Beteiligung am Bau des Bayreuther Festspielhauses hat er der Nachwelt auch ein materiell zu greifendes Monument hinterlassen.

Seitdem ist weit mehr als ein Jahrhundert verstrichen, und Bayreuth ist immer noch eine eher kleine und ungünstig gelegene Stadt. Die Anziehungskraft des Festspielhauses scheint aber größer denn je zu sein. Kann es einen besseren Beleg für die gelungene Konzeption eines Kulturbauwerks geben? Wohl kaum. Dabei trug das gesamte Vorhaben kühne Züge.
Ein Gebäude zu errichten, dessen Bestimmung allein die festspielmäßige Aufführung von Wagner-Opern sein sollte, war ein hochambitionierter, fast größenwahnsinniger Plan. Folglich blieben die Unstimmigkeiten nicht aus. Egal ob finanzielle, personelle oder ideologische Schwierigkeiten - die Bayreuther Festspiele mussten all das schon durchstehen.
Mittlerweile dürfte man jedoch mit Genugtuung auf die bewegte Vergangenheit zurückblicken. In jüngster Zeit sind die Vorstellungen der Festspiele restlos ausverkauft. Die Wartezeit, um Eintrittskarten zu ergattern, beläuft sich auf etwa zehn Jahre. Daran hat die ideale Beschaffenheit des Festspielhauses gewiss ihren Anteil - denn Wagner war voller Einfälle, wie der zu seinen Werken passende Saal aussehen sollte. So entstand ein Raum, dessen Gestaltung bestens mit den dargebotenen Stücken verzahnt ist. Als Inspirationsquelle für die Innenarchitektur zog man antike Amphitheater heran, was an den ansteigenden Sitzreihen und den Säulen deutlich wird.
Wagners Hauptanliegen war allerdings, möglichst viele Ablenkungsfaktoren zu beseitigen. Demgemäß verbaute man - für damalige Verhältnisse - wenig prunkvolle Materialien und setzte vorwiegend auf Holz, das anschließend getüncht wurde. Um den Zuschauer visuell näher ans Geschehen zu rücken, versah man die Bühne mit drei Umrahmungen. Die sogenannten Proszenien sollen eine Sogwirkung auf den Blick nach vorne ausüben.

Damit war aber noch nicht alles Ablenkungspotenzial getilgt. Weil Wagner verhindern wollte, dass sich die Aufmerksamkeit der Saalgäste auf die Musiker richtet, erdachte er den "mystischen Abgrund". In diesem ungewöhnlich tiefen Orchestergraben, der stufenartig bis unter die Bühne verläuft, finden 120 Instrumentalisten Platz. Sie können weder vom Publikum noch von den Darstellern gesehen werden, da voluminöse Holzblenden den Graben verdecken.
Die akustischen Konsequenzen überraschen wenig: Einzelne Instrumentengruppen sind kaum lokalisierbar, der Orchesterklang wird gedämpft und indirekt wahrgenommen. Das passt zur Atmosphäre der Wagnerschen Dramen und kommt obendrein den Sängern zugute, weil der "mystische Abgrund" eine Übertönung durch die Musiker nahezu unmöglich macht. Trotz jener Vorteile war der Graben Gegenstand von Kontroversen.
Nach einigem Hin und Her entschied man sich allerdings, ihn in der Urform zu belassen - gehört er doch ebenso zum Haus wie der allgegenwärtige Geist der Familie Wagner, die bis dato die Festspielleitung innehat. Das sehen nicht alle Kritiker als Glücksfall, obwohl traditionell Verankertes, wie die Beschränkung auf das Wagnersche Repertoire, bislang unangetastet blieb. Zugleich bewies man aber genügend Praxissinn, um tiefgreifende Verbesserungen der Bühnentechnik und notwendige Erneuerungen anzugehen. Richard Wagner wäre mit seinen Nachfahren wohl zufrieden gewesen.
- Bauzeit: 1872-75
- Architekt: Otto Brückwald
- Besucher: ca. 53900 pro Jahr (bei den Festspielen)
- Nachhallzeit: 1,55 Sekunden (besetzter Saal)
- Highlight: weltweit tiefster Orchestergraben