Neustart einer Marke
Nokia: Was steckt hinter dem erfolgreichen Comeback?
Der Smartphone-Markt kennt nur wenige Gewinner, aber viele Verlierer. Gerade kleine Hersteller haben es schwer. Doch Nokia zeigt, wie ein Comeback gelingen kann.
- Nokia: Was steckt hinter dem erfolgreichen Comeback?
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Als Microsoft Mitte 2016 seinen Ausstieg aus der Smartphone-Produktion ankündigte, schien das Ende eines beispiellosen Niedergangs erreicht. Der Handyhersteller Nokia, der zu seinen besten Zeiten fast eine halbe Milliarde Telefone pro Jahr verkauft hat und den Weltmarkt mit erdrückender Dominanz bestimmte, schien endgültig Geschichte. Über die Gründe für diesen tiefen Fall ist viel geschrieben worden. Klar ist, dass man wichtige Entwicklungen wie den Trend zum Touchscreen verschlafen hatte. Und im Rückblick wird auch deutlich, dass Microsoft schon seit der strategischen Partnerschaft mit Nokia 2011 zahlreiche Fehlentscheidungen getroffen hat, die den Abstieg maßgeblich beschleunigten.
Die entscheidenden Deals
Wäre er sonst aufzuhalten gewesen? Mit dieser Diskussion könnte man Seiten füllen. Aber für einen Nachruf ist es definitiv zu früh – im Gegenteil: Nokia scheint gerade wie der Phönix aus der Asche wieder emporzusteigen. Um zu verstehen, warum heute Android-Smartphones mit Nokia-Schriftzug verkauft werden, müssen wir zurück ins Jahr 2016.
Denn als Microsoft einen Schlussstrich unter sein desaströses Smartphone-Abenteuer zog, wurden zentrale Bereiche der von Nokia übernommenen Gerätesparte weiterverkauft. Der Deal, der damals zustande kam, ist komplex. Vereinfacht gesagt wurden viele reale Werte – eine Fabrik für Feature Phones in Vietnam mit 4500 Angestellten und das Distributions- und Service-Netzwerk – an den auf Mobiltelefone spezialisierten Foxconn-Ableger FIH verkauft.
Das geistige Eigentum – die Marken- und Designrechte an Feature Phones von Nokia – ging an das neu gegründete finnische Unternehmen HMD Global Oy. HMD hat parallel eine weitreichende strategische Partnerschaft mit dem Mutterkonzern Nokia geschlossen, der sich seit dem Verkauf der Mobilfunksparte an Microsoft auf das Netzwerkgeschäft konzentriert, aber weiterhin Markenrechte und zahlreiche für Mobiltelefone relevante Technologiepatente hält.
Diese Verträge machen HMD letztendlich bis zum Jahr 2026 zum alleinigen Inhaber der Markenrechte an mobilen Endgeräten mit dem Namen Nokia. Der Foxconn-Tochter FIH kommt eben falls eine wichtige Rolle zu. Mit dem Microsoft-Deal konnte der Auftragsfertiger seine Produktionskapazitäten ausbauen und HMD als neuen Kunden gewinnen. Weitere Partnerschaften ist HMD mit Google (Software) und Zeiss (Kameratechnologie) eingegangen. Die moderne, netzwerk artige Struktur ist sicher ein wichtiger Baustein für den Erfolg der neuen Nokia-Phones. Aber noch wichtiger sind die Personen, die diese Netzwerke bilden – hier lohnt es sich, einen genaueren Blick auf HMD zu werfen.
Ein eingespieltes Netzwerk
„Wir sind beeindruckt von der Erfahrung und Fachkompetenz des Managements von HMD“, erklärte 2016 der Chef von FIH, Vincent Tong, bei der Bekanntgabe der Kooperation. Eine zentrale Rolle bei der Gründung von HMD spielte die Risikokapitalgesellschaft Smart Connect LP mit dem Franzosen Jean-Francois Baril an der Spitze, der als Senior Vice President mehr als zehn Jahre zur obersten Führungsriege von Nokia gehörte. Man kann davon ausgehen, dass seine Kontakte zu Nokia eine Rolle bei der Aushandlung der Lizenzverträge gespielt haben.
Das neu gegründete Unternehmen konnte sich zudem von Anfang an auf exzellentes Personal stützen, denn der Rückzug von Microsoft aus dem Smartphone-Geschäft bedeutete einen umfangreichen Stellenabbau. Viele Ex-Microsoftler waren sicherlich begeistert von der Idee, die Smartphone-Marke Nokia wiederauferstehen zu lassen. Solche hochspezialisierten Mitarbeiter tragen nicht nur Erfahrung in ein Unternehmen, sie öffnen mit ihren eigenen Netzwerken auch Türen.
Im Fall von HMD stehen die Kontakte zu Vertriebspartnern wie Netzbetreibern oder Handelsketten an erster Stelle. Die Expertise, die in der Firma steckt, rekrutiert sich aber nicht nur aus dem ehemaligen Nokia/ Microsoft-Biotop. Beispielhaft dafür ist Sam Chin, der als Chairman of the Board an der Spitze von HMD steht. Er leitete mehr als zehn Jahre lang FIH und seine Kontakte zur Fertigungsindustrie in Asien sind sicher nicht zum Nachteil für das finnische Unternehmen, das sich selbst übrigens als Start-up bezeichnet.
Clevere Produktstrategie
Am 13. Dezember 2016 stellte HMD „sein“ erstes Nokia-Telefon vor, das 26-Dollar-Modell 150. Kurz darauf folgte mit dem Nokia 6 das erste Smartphone, ein Mittelklasse-Modell, das zunächst in China verkauft wurde. Es trug bereits die Handschrift des Unternehmens: Der metallene Korpus war außerordentlich robust und hochwertig. Als Betriebssystem diente ein schlichtes Android, das zwar keine Extras bot, aber regelmäßig mit Updates versorgt wurde. Diese Kombination zeichnet seitdem alle Nokia-Smartphones aus – und sie wurde bisher von keinem Hersteller so konsequent durchgezogen wie von HMD.
Die Aktualisierungen werden pünktlich geliefert und selbst die günstigsten Geräte stecken in vergleichsweise hochwertigen Gehäusen. Ein weiteres Kennzeichen der neuen Produktstrategie ist der bewusste Rückgriff auf die große Vergangenheit von Nokia. Im letzten Jahr hat man den Klassiker 3310 neu aufgelegt und damit einen Riesenerfolg gelandet. Für dieses Jahr wurden mit dem Nokia 6 (2018) und dem Nokia 7 Plus nicht nur neue Smartphones vorgestellt, sondern mit dem Nokia 8 Sirocco auch eine alte Luxusmarke wiederbelebt. Und mit dem 8110 4G hat auf dem MWC ein Remake des legendären Bananenhandys 8110 für Furore gesorgt.
Damit ist HMD das Kunststück gelungen, den Verkauf von Feature Phones von 35 Millionen im Jahr 2016 auf 60 Millionen 2017 fast zu verdoppeln. Bei Smartphones konnte man den Absatz im selben Zeitraum von null auf knapp neun Millionen hochfahren. Laut den Marktforschern von Canalys steht Nokia bei Smartphones im ersten Quartal 2018 in Europa auf Platz fünf, vor Marken wie Sony, HTC oder LG. Wenn man bedenkt, dass HMD noch nicht einmal zwei Jahre aktiv im Geschäft ist, ein mehr als solides Ergebnis.