Ratgeber

Sim-Access vor dem Aus?

5.10.2007 von Florian Stein und Redaktion connect

Spitzen-Empfang, Zugriff aufs Handy-Telefonbuch, keine Strahlung im Auto - SIM-Access-Freisprechanlagen sind genial. Doch die tolle Technik droht zu versauern. auto connect erklärt die Hintergründe und räumt mit Strahlungsmythen auf.

ca. 7:50 Min
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VG Wort Pixel
  1. Sim-Access vor dem Aus?
  2. Interview mit Reinhard Kromer von Baerle, Vertriebsleiter, Peiker acustic
  3. Interview mit Marcus Stahl, Director Automotive Customers, Nokia
  4. Links zum Thema
  5. Strahlung - echte Angst vor falschen Tatsachen?
Sim-Access
Sim-Access
© Archiv

Wenn Außendienstler Rainer B. morgens um sieben in seine E-Klasse steigt, ist die Welt für ihn definitiv in Ordnung. Der Vielfahrer führt im Auto täglich Dutzende von Telefonaten, und zwar auf die denkbar bequemste Art und Weise, ohne dass er sein Handy in einen Halter stecken oder gar verkabeln müsste - per Bluetooth-SIM-Access.

Sobald er den Zündschlüssel umgedreht hat, kontaktiert sein Mobiltelefon per Bluetooth-Funk von selbst die Freisprechanlage und übergibt ihr per Funk seine SIM-Kartendaten. Die Freisprechanlage meldet sich dann mit diesen SIM-Daten praktisch als autonomes Autotelefon im Handynetz an, während das Handy "schläft". Ruft ihn jemand an, hebt der Außendienstler über sein Mercedes-Comand-System ab, will er jemanden erreichen, wählt er dessen Nummer ebenfalls über das ab Werk eingebaute System. Alles in hervorragender Klang- und Empfangsqualität, da die Telefonate über die Auto-Außenantenne laufen - was nicht zuletzt bedeutet, dass der Innenraum strahlungsfrei bleibt. Stellt er den Motor ab, nimmt das Handy wieder seinen Dienst auf.

Die perfekte Freisprechlösung

Samsung und Motorola
Das Samsung SGH-U700 und das Motorola Motorokr Z6 sind SAP-fähig
© Archiv

Mit anderen Worten: Freisprechen per SIM-Access ist schlicht genial, der Komfort dieser Lösung ist unerreicht. Das Problem: Die bahnbrechende Technik spielt am Markt kaum eine Rolle, Leute wie Rainer B. sind eine kleine Minderheit unter den Auto-Telefonierern. Das verwundert, wenn man die noch recht junge Geschichte der Freisprecheinrichtungen bedenkt, denn lange Zeit besaß dieses Thema in etwa den Charme einer Wurzelbehandlung beim Zahnarzt.Zunächst waren Freisprecher ziemlich teuer und mussten kostspielig eingebaut werden - und dann störte der Handyhalter auch noch die Optik im Innenraum. Wer um die Jahrtausendwende im Auto telefonieren wollte, konnte auf ein solches Kit trotzdem nicht verzichten, es sei denn, er wollte ein Bußgeld riskieren.

Und immerhin bekam der Kunde ein gutes Produkt: Halter-Freisprechanlagen der Oberklasse sind technisch und in Sachen Handling nahezu perfekt, sie bieten Sprachsteuerung, Ladefunktion, Topklang und hervorragenden Empfang per Außenantenne.

Bluetooth - ein Meilenstein

Ein Riesenschritt in der Entwicklung der Freisprechanlagen gelang mit dem Kurzstreckenfunk Bluetooth. Wobei Bluetooth nur der Überbegriff ist - je nach auszuführender Aktion gibt es über zwei Dutzend Bluetooth-Profile. Bei einer Bluetooth-Freisprechanlage kommt meist das Handsfree-Profil (HFP) zum Einsatz. Es übermittelt die Sprache von und zum Handy und gibt Kommandos wie "Wählen/ Auflegen" oder die an der Freisprechanlage eingegebene Nummer ans Telefon weiter. So lässt sich das Handy via Car-Kit bedienen. Die Vorteile: Man braucht keinen Handyhalter, was den Einbauaufwand erheblich verringert. Folglich ist für ein neues Handy kein neuer Halter nötig. Einzige Voraussetzung, damit das neue Telefon mit dem alten Freisprecher kann: Es muss HFP unterstützen. Auch das Telefon der Gattin oder des Sohnes funktioniert mit der Freisprechanlage - so lange es HFP beherrscht.

Der Blechkäfig stört den Empfang

Messraum
Die Autohersteller vergewissern sich, dass Funkstrahlen die Elektronik nicht beeinflussen.
© Archiv

Damit wäre die Freisprechwelt vollkommen glücklich gewesen, hätte es nicht ein paar Nachteile gegeben. So nutzt ein HFP-Freisprecher das Funkteil des Handys, er baut also nicht selbst die Verbindung ins Netz auf, sondern wickelt das Gespräch über das Handy ab. Dieses wiederum liegt im Auto und tut sich schwer damit, durch den Blechkäfig hindurchzufunken. Daher ist die Verbindung des Handys zum Netz schlechter als im Freien, so dass es bei schwachem Netz seine Sendeleistung bis zum Anschlag hochfahren muss, um die Verbindung zu halten. Das führt zu höherer Strahlung und leert den Akku schneller. Zwar gibt es aktive Handyhalter, die Stromanschluss und Antennenabgriff bieten, aber damit macht man die Bluetooth-Vorteile wieder zunichte und könnte genauso gut zu einer Freisprechanlage mit Handyhalter greifen.Die nur fast perfekte Handsfree-Lösung sorgte dafür, dass man sich in der Bluetooth-SIG (Bluetooth Special Interest Group) auf einen weiteren Freisprech-Standard verständigte - auf das SIM-Access-Profil (SAP- oder rSAP-Profil). Dieses greift - wie der Name andeutet - auf die SIM-Karte im Handy zu, leiht sich deren Daten per Funk, um sich mit einem eigenen GSM-Modul, also einem Mobilfunk-Sende-Empfangsteil, im Netz anzumelden. Das Handy wird in eine Art Schlafzustand versetzt und wartet lediglich auf die Rückgabe seiner SIM-Hoheit.

SIM-Access ist der Königsweg

Dieses Prinzip bringt viele Vorteile: Dank Außenantenne und "schlafendem" Handy bleibt das Auto innen praktisch strahlungsfrei, der Handyakku wird geschont, die Netzverbindung ist stabil. Im Gegensatz zum ähnlich komfortablen Autotelefon kommt der SAP-Freisprecher sogar ohne zweite SIM-Karte aus, da er ja die des Handys benutzt. Eine SAP-Freisprechanlage ist sozusagen das Autotelefon per Funk. Aber warum also kauft kaum jemand diese Supertechnik?Die Gründe dafür sind vielfältig. Eine wichtige Rolle spielt der Preis: Weil ein SAP-Freisprecher ein eigenes GSM-Modul besitzt und daher recht aufwendig aufgebaut ist, sind SAP-Kits unter 300 Euro praktisch nicht zu bekommen. Außerdem muss das Handy das SAP-Profil unterstützen - und da liegt der Hase im Pfeffer.

Zwar bieten Nokia, HTC und BenQ-Siemens SAP-Handys an, Sony Ericsson, Sagem, Panasonic oder Blackberry aber nicht. Auch Samsung und Motorola verweigerten sich SAP bis vor kurzem, das brandneue Samsung SGH-U700 und das Motorola Motorokr Z6 unterstützen das Freisprechprofil immerhin. Das könnten erste Anzeichen einer Trendwende sein. Sehr überschaubar ist auch die Zahl der Freisprechanlagen mit SAP. Zwar haben Nokia, Funkwerk Dabendorf, Harman/Becker, Parrot, Siemens, Bury und Lintech welche im Programm - aber kaum ein Hersteller bringt es auf mehr als ein Gerät. Eine winzige Auswahl.Die Firmen schieben sich den schwarzen Peter für ihre Zurückhaltung gegenseitig zu: Während die Handyhersteller den Mangel an SAP-Car-Kits beklagen, jammern die Car-Kit-Hersteller über die bislang fehlende Unterstützung der Handyfirmen.

Die geringe Verfügbarkeit trägt dazu bei, dass kaum SAP-Kits verkauft werden. Die mageren Stückzahlen wiederum sind dann das Argument für den vergleichsweise hohen Preis der Kits - durch das GSM-Modul kosten SAP-Kits immerhin rund 100 Euro mehr als vergleichbare HFP-Anlagen.

Ein neuer Fall DAB?

Das Rumgeeiere erinnert fatal an das Desaster um das Digitalradio DAB. Bei dessen Einführung Mitte der 90er-Jahre herrschte eine allgemeine Euphorie, das neue Radio mit dem glasklaren Empfang in CD-Qualität schien eine glänzende Zukunft zu besitzen. Doch dann gab's kaum DAB-Geräte, und nach dem Ende der staatlichen Subventionierung machten die Privatsender kaum Anstalten, ihre Programme auf eigene Rechung digital in den Äther zu pusten.

Heute senden die öffentlich-rechtlichen und ein paar private Stationen zwar via DAB, allerdings weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit, da immer noch kaum jemand ein DAB-Radio besitzt. Tolle Technik, gigantische Pleite. Droht den brillanten SIM-Access-Freisprechanlagen ein ähnliches Schicksal? Noch ist das nicht klar. Die Meinungen in der Industrie gehen da auseinander. Während der finnische Mobilfunkgigant Nokia voll auf SIM-Access setzt, geht man beim Mercedes-Zulieferer Peiker acustic davon aus, dass SAP-Nachrüstung noch zu teuer ist. Funkwerk Dabendorf wird an SIM-Access festhalten, auch wenn der SAP-Freisprecher Audio com nicht gerade der Verkaufschlager ist: "Wir werden auch künftig Produkte anbieten, die SIM-Access unterstützen. Denkbar sind Geräte für die neue EGO-Linie und für die Audio-Reihe", sagt Senior Marketing Manager Fabian Schaaf von Funkwerk. Der Freisprechanlagenhersteller Parrot hingegen ist beim Thema SIM-Access äußerst skeptisch, Sony Ericsson ebenfalls.

Genau wie die Automotive-Sparte von Motorola. Yannick Bourdin, Product Marketing Manager Europe beim US-amerikanischen Handy- und Freisprechanlagenbauer, berichtet, dass ihn deutsche Autohersteller zwar regelmäßig auf SAP ansprächen, Motorola sich aber zur Zeit lieber der Verbesserung von HFP-Lösungen widme. Das Unternehmen wird bei seinen Freisprechern daher aller Voraussicht nach weiterhin nicht auf SAP setzen. Als bald wohl ehemaliger BMW-Zulieferer hat Motorola mit dieser Politik bereits Probleme, da die BMW-Konkurrenten Mercedes und Audi bereits SAP-Lösungen anbieten - und die Bayern jetzt nachziehen wollen. "Die BMW Group hat Lösungen für Kunden, die SAP wünschen, in der Entwicklung", teilt Dr. Richard Rau mit, Leiter Information und Kommunikation bei BMW. Zulieferer Harman/ Becker arbeitet schon an der passenden Lösung.

Halterung
Halterlösungen bieten fast alle Vorteile von SIM-Access - sofern das Handy einen Antennenanschluss besitzt.
© Archiv

Bei Mercedes ist man da schon weiter: "SIM-Access ist für alle Mercedes-Benz-Fahrzeuge mit Freisprechanlage ab Modelljahr 2004 verfügbar - und rund zehn Prozent unserer Kunden entscheiden sich auch dafür", so Rainer Freitag, Leiter Kommunikationssysteme bei DaimlerChrysler. Licht am Ende des Tunnels? Sicher ist, dass das Thema Freisprechen kontinuierlich an Bedeutung gewinnt, auch und vor allem bei denen, die bislang ungeniert mit dem Handy am Ohr telefoniert haben. Spürbare Strafen von 40 Euro und einem Punkt in Flensburg sowie die eigene Erfahrung haarsträubender Situationen beim Freihand-Telefonieren - alles zusammen zeigt auf lange Sicht Wirkung.

Allerdings will die deutsche Geiz-ist-geil-Gesellschaft für einen Freisprecher so wenig wie möglich ausgeben. Blisterverpackte Billiglösungen gehen daher im Moment am besten, und es wird noch eine ganze Weile dauern, bis genügend Zeitgenossen gemerkt haben, dass sie meist minderwertige, teils unbrauchbare Technik gekauft haben.

Strahlungsangst als SAP-Motor?

Schützenhilfe könnten die SIM-Access-Freisprechanlagen von ganz anderer Seite bekommen - nämlich ausgerechnet von den Strahlungsgegnern der "Die Antenne muss weg"-Bürgerinitiativen. Schließlich ist das Freisprechen via SIM-Access unerreicht strahlungsarm. An die urdeutsche Strahlungsangst, die laut Rainer Freitag von DaimlerChrysler etwa in den USA so gut wie unbekannt ist, knüpfen sich daher viele Hoffnungen der SAP-Befürworter: Die Konsumenten könnten die Bereitschaft entwickeln, für eine praktisch strahlungsfreie Freisprechanlage mehr Geld auszugeben als sonst - ähnlich wie für die immer beliebteren Bio-Lebensmittel. Und der Trend zu Bio-Produkten bei Aldi, Plus und Lidl zeigt: Wird etwas Hochwertiges nachgefragt, wächst das Angebot - und die Preise fallen.

Halterlösung oder SIM-Access?

Die schärfste Konkurrenz für Bluetooth-SIM-Access ist immer noch der klassische Freisprecher mit Handyhalter und Außenantenne. Doch eine Schwäche der Halterlösungen sind die inzwischen selten gewordenen Antennenbuchsen an Handys. Insbesondere SIM-Access-Vorreiter Nokia verzichtet bei seinen Bluetooth-Modellen wie dem Megaseller 6233 auf eine Antennenbuchse - eben mit dem Hinweis auf die SAP-Funktionalität. Das bedeutet, dass Halter-Freisprechanlagen die Antenne des in der Halterung klemmenden Handys induktiv abgreifen müssen. Anders als beim physischen Anschluss wird die Handyantenne so nicht deaktiviert und durch einen externen Funkfinger ersetzt, sondern es wird nur die integrierte Antenne über induktive Kopplung mit einer Außenantenne verbunden. Das Mobiltelefon sendet also weiter im Innenraum, aber mit einer etwas geringeren Leistung als bei einem HFP-Freisprecher.

Fazit

Die exzellente Freisprech-Variante Bluetooth-SIM-Access scheint sich als Feature in Neuwagen so langsam zu bewähren, im Nachrüstbereich sieht's dagegen immer noch mau aus. Der Kunde ist offenbar noch nicht bereit, die aufgerufenen Preise zu zahlen. Die aktuell erhältlichen SAP-Kits für den Nachrüstmarkt verkaufen sich zwar stetig, aber auf eher niedrigem Niveau. Sollten Motorola und Samsung bei ihren neuen Handys tatsächlich den angedeuteten SAP-Paradigmenwechsel vollziehen, müsste auch bei Sony Ericsson, Blackberry und Co. ein Umdenken einsetzen. Und dann könnte sich das Blatt wenden und SAP noch ein Erfolg werden. Allerdings scheint der Druck von Kundenseite noch nicht hoch genug. Wie sonst kann es sein, dass die Business-Phones von Blackberry SIM-Access nicht unterstützen? Dabei genügt ein Firmware-Update, um einem Bluetooth-Handy SIM-Access beibringen. Das jedoch muss der Hersteller erst einmal anbieten.

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