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Datenbrillen, Augmented Reality, etc.

So nutzen BMW oder SAP Wearables

Wearables sind weit mehr als intelligente Schrittzähler oder vernetzte Zeitmesser für die Freizeit. Ihr volles Potenzial spielen die elektronischen Helfer aber erst im Business-Einsatz aus.

Autor: Frank Erdle • 29.6.2015 • ca. 5:25 Min

BMW Wearables
BMW Wearables
© BMW

Wearables kommunizieren ganz selbstverständlich mit Mobiltelefonen und Maschinen. Nun schicken sich die Human-Computer-Interfaces an, die Unternehmenswelt zu erobern. Dort ermöglichen Datenbrillen nicht nur schnelleres und fehlerfreies Arbeiten, sondern revolutionieren zum Beispiel auch den Gesund...

Wearables kommunizieren ganz selbstverständlich mit Mobiltelefonen und Maschinen. Nun schicken sich die Human-Computer-Interfaces an, die Unternehmenswelt zu erobern. Dort ermöglichen Datenbrillen nicht nur schnelleres und fehlerfreies Arbeiten, sondern revolutionieren zum Beispiel auch den Gesundheitssektor: Wearables sollen in der Patientenbetreuung bald ebenso zum Alltag gehören wie im OP. Doch obwohl der digitale Durchblick für mehr Effizienz und Sicherheit sorgt, investieren laut einer Studie der Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers derzeit erst drei Prozent der Firmen in Wearables. Dass sich das bald ändern dürfte, zeigen die folgenden vielversprechenden Konzepte.

ProGlove: Sensorhandschuh für die Industrie

Ein Startup aus München möchte die Abläufe bei der Fließbandproduktion beschleunigen: Thomas Kirchner und sein Team haben mit ihrem Sensorhandschuh ProGlove den dritten Platz beim weltweiten Intel-Wettbewerb "Make It Wearable" erreicht. Dank RFID und Motion Tracking erkennt das smarte Arbeitsgerät nicht nur, ob der Träger das richtige Bauteil zur Hand nimmt, sondern überwacht und protokolliert auch sämtliche Arbeitsschritte. Greift der Mitarbeiter zum falschen Teil oder Werkzeug, vibriert die intelligente Montagehilfe und gibt zusätzlich ein optisches Feedback auf dem eingebetteten Display.

Team ProGlove
Team ProGlove: Startup aus München
© ProGlove

Als weitere Besonderheit lässt sich der ProGlove in Applikationen einbinden, die ihn mit anderen Prozessen im Unternehmen vernetzen - etwa dem Zutrittsmanagement für sicherheitssensible Bereiche. Technisch basiert die Innovation auf Intels briefmarkengroßem Wearable-Entwicklermodul Edison. Zunächst soll der smarte Handschuh, der perfekt ins kommende Industrie-4.0-Zeitalter passt, in der Automobil- und Luftfahrtindustrie erprobt werden. Eine Serienproduktion ist für das nächste Jahr geplant.

Sensorhandschuh ProGlove
Sensorhandschuh ProGlove
© ProGlove

Google Glass: Qualitätsmanagement bei BMW

BMW testet momentan im US-Werk Spartanburg, wie sich mit Wearables die Qualitätssicherung bei Vorserienfahrzeugen optimieren lässt. Das Pilotprojekt wird mit der Smartbrille Google Glass​ durchgeführt. Auf diese Weise können Abweichungen mit Fotos und Videos dokumentiert und später genau analysiert werden. Weil sich das optische Werkzeug mit 2 Gigabyte Flashspeicher begnügen muss, landet das Multimedia-Material auf einem werkseigenen Server. Dies ist vor allem dann von Vorteil, wenn Fehlfunktionen nicht eindeutig reproduzierbar sind. "Im Laufe des Pilotprojekts soll noch die Videotelefonie dazukommen", erläutert der Projektverantwortliche Dr. Jörg Schulte. "Dann können Beanstandungen direkt am Fahrzeug mit allen betroffenen Entwicklungsbereichen abgeklärt werden."

Flugzeug Vuzix M100
Flugzeugwartung mit der Android-Brille M100
© Vuzix

Die Software für das spannende Projekt stammt übrigens von der deutschen Firma Ubimax: Als einer von weltweit zehn zertifizierten Google-Partnern treiben die Bremer die Entwicklung innovativer Anwendungen für die "Smart Glasses" voran, die viele Experten vorschnell zum Auslaufmodell erklärt haben. In Wahrheit konzentriert sich der Internetgigant mit seinem bahnbrechenden Konzept auf das Geschäft mit Unternehmen. Auf den lukrativen B2B-Markt haben es freilich auch Konkurrenten wie Vuzix (links: Flugzeugwartung mit der Android-Brille M100), Oculus und Sony abgesehen.

Google Glass und Vuzix M100: Augmented Reality in der Logistik

Im Rahmen eines Pilotprojekts hat DHL in einem Distributionszentrum in den Niederlanden erfolgreich den Einsatz von Datenbrillen und Augmented-Reality-Anwendungen getestet. Die Ergebnisse des Versuches fielen beeindruckend aus: Bei der Bereitstellung der Waren wurde eine 25-prozentige Effizienzsteigerung erzielt. "Die AR-gestützte Kommissionierung kommt ohne zeitraubende Handgriffe aus und ist erheblich produktiver. Auch unseren Kunden bietet die Technologie einen Mehrwert", bilanzierte Jan-Willem De Jong, Business Unit Director Technology bei DHL Benelux. "Wir sind überzeugt, dass Augmented Reality künftig für immer mehr Bereiche in der Lieferkette relevant sein wird." Bei dem mehrwöchigen DHL-Test wurden die Lagerfachkräfte mit Datenbrillen wie Google Glass oder Vuzix M100 ausgestattet.

Lagerkraft mit Datenbrille
Lagerkraft mit Datenbrille
© Hersteller

In die Displays der Brillen wurden vor allem Navigationshinweise eingeblendet - beispielsweise, in welchem Gang sich der gesuchte Artikel befindet und in welcher Stückzahl dieser benötigt wird. Insgesamt nutzten zehn Mitarbeiter die Smartbrillen, um im vorgegebenen Zeitrahmen mehr als 20 000 Artikel für 9000 Bestellungen zusammenzustellen. Ein ähnlicher Versuch lief im Frühjahr auch bei Volkswagen an. Im Wolfsburger Teilelager sollen "Smart Glasses" möglichst bald die klobigen Handscanner ersetzen. Als Manko betrachtet man bei VW allerdings das Gewicht und die kurze Akkulaufzeit der aktuellen Wearable-Generation.

Die Sicht durch die Datenbrille.
Die Sicht durch die Datenbrille.
© Hersteller

Zeiss Cinemizer OLED: Computer Aided Design

Dreidimensionale Planungs- und Präsentationswerkzeuge sind für Architekten und Innenausstatter schon lange unverzichtbar. Augmented-Reality-Brillen wie der Cinemizer OLED von Carl Zeiss gehen aber einen wesentlichen Schritt weiter: In Verbindung mit einer Computer-Aided-Design-Software haben Bauherren die Möglichkeit, die Raumplanung aus der Ich-Perspektive zu erleben. Wie in einem Computerspiel bewegt man sich mit der Cyberbrille durch das virtuelle 3-D-Gebäude. Für ein wirklichkeitsnahes Raumgefühl sorgt der Headtracker, der sämtliche Kopfbewegungen verzögerungsfrei umsetzt. Ein interaktives Präsentationstool bringt die 3-D-Entwürfe mit wenigen Mausklicks auf den PC, ein Tablet oder Smartphone.

Cinemizer OLED von Carl Zeiss
Cinemizer OLED von Carl Zeiss
© Carl Zeiss

So können Architekten auch außerhalb ihres Büros allen Projektbeteiligten einen authentischen Eindruck der Planung vermitteln. Während der Präsentation lassen sich viele Details verändern, wenn der Wunsch besteht - von der Raumaufteilung bis zur Anordnung von Treppen oder Fenstern. Der in den Cinemizer integrierte Akku liefert Strom für sechs Stunden. Auch bei der Produktentwicklung spielen Cyberbrillen und CAD-Programme schon eine Rolle. Was allerdings fehlt, sind hersteller- und produktspartenübergreifende Konzepte, damit die intelligenten Sehwerkzeuge Daten mit anderen Gerätschaften austauschen können. IT-Giganten wie Intel oder Samsung wollen diese Lücke mit Prozessorplattformen schließen, die im Internet der Dinge eine Schlüsselrolle spielen sollen.

Google Smart Lenses
Google Smart Lenses
© Google

Brillen, Sensoren, Prothesen: Wearables in der Medizin

In über 20 Machbarkeitskonzepten weltweit will der deutsche IT-Konzern SAP zeigen, was Wearables für Patienten, Ärzte und Krankenhäuser leisten können. "Neben einer Unterstützung der Prävention geht es dabei auch um das Management chronischer Krankheiten", erklärt Claudius Metze, Business Solutions Architect im Gesundheitsbereich von SAP.

Die Einsatzmöglichkeiten von Datenbrillen in Kliniken reichen von der Diagnose über die Patientenbetreuung bis in den OP: Bereits 2013 machte eine Klinik in Ohio/USA mit der ersten Live-Übertragung einer Operation Schlagzeilen, bei der eine Cyberbrille eingesetzt wurde. Aufhorchen ließ auch die Nachricht, dass sich der Schweizer Pharmamulti Novartis mit Googles Innovationslabor verbündet hat, um die Entwicklung smarter Kontaktlinsen voranzutreiben. 

Maßgeschneiderte Prothesen aus dem 3D-Drucker von Open Bionics.
Maßgeschneiderte Prothesen aus dem 3D-Drucker von Open Bionics.
© Open Bionics

Mit dem marktreifen Produkt sollen sich in fünf Jahren die Blutzuckerwerte bei Diabetikern messen und die Folgen verschiedener Augenkrankheiten mildern lassen. Samsung hat unterdessen ein Frühwarnsystem für Schlaganfallpatienten entwickelt. Der präsentierte Prototyp bedeckt noch einen Großteil des Kopfes. Langfristig sollen die Sensoren jedoch diskret in Haarspangen oder Brillenbügeln verschwinden. Hoffnung aus der Wearable-Welt gibt's auch für Menschen, die eine Hand verloren haben: Die britische Firma Open Bionics will in Bälde maßgeschneiderte Prothesen aus dem 3-D-Drucker anbieten.

Schweizer Pharmamulti Novartis hat sich mit Googles Innovationslabor zusammengetan.
Schweizer Pharmamulti Novartis hat sich mit Googles Innovationslabor zusammengetan.
© Hersteller

Fitness

Immer mehr Unternehmen finden Gefallen daran, ihre Mitarbeiter mit Aktivitätstrackern und Fitness-Apps auszustatten. In den USA lassen Konzerne wie BP oder Yahoo die Schritte ihrer Angestellten zählen. In Deutschland gibt es bei Opel, SAP oder IBM entsprechende Programme, die zu sportlicher Betätigung antreiben sollen. Die amerikanischen Wearables-Hersteller Fitbit und Jawbone bieten Firmen sogar spezielle Produkte an. Jawbone hat dafür eigens die Vermarktungsinitiative "UP for Groups" gestartet - mit dem Ergebnis, dass der Arbeitgeber alle mit dem smarten Armband gesammelten Aktivitätsinfos verfügbar hat.

Auch hierzulande kann sich schon jeder Dritte vorstellen, seine gesundheits- und fitnessbezogenen Daten preiszugeben, wenn Vorteile wie ein Tarifrabatt bei der Krankenversicherung locken (Quelle: aktuelle YouGov-Onlinestudie).

Apple Watch - wann kommt der Nachfolger?
© Apple

Bei der freiwilligen Selbstvermessung drohen aber auch Nachteile: "Unternehmen könnten ihre Werbung, Angebote und Preise anhand des Gesundheitsprofils zum Nachteil der Verbraucher anpassen oder ihnen wegen des Gesundheitszustands bestimmte Leistungen verweigern", warnt Christian Gollner, Datenschutzexperte der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz.

Unterdessen rüsten sich Firmen schon für die nächste Fitnesswelle mit smarter Kleidung: Das vom Fraunhofer Institut für Integrierte Schaltungen mitentwickelte Sportshirt Ambiotex soll Gesundheitsdaten wie die Herzfrequenzvariabilität messen, andere Wearables überflüssig machen und in diesen Wochen auf den Markt kommen.