Testbericht
Vollverstärker Progressive Audio A 2
Mit dem Verstärker Progressive Audio A 2 (18200 Euro) gibt ein neuer Transistortyp sein Debüt, der aus Silicium und Kohlenstoff besteht. Beim Hörtest kam glühende Spannung auf.
- Vollverstärker Progressive Audio A 2
- Prinzipschaltung
- Datenblatt

Am 29. Juli 2009 verkündete das Fraunhofer-Institut für solare Energiesysteme in einer Pressemitteilung den Wirkungsgrad-Weltrekord für seinen neuen Wechselrichter: 99,03 Prozent. Und sie teilten mit, dass sie für die Schalt-arbeit in dem DC/AC-Umsetzer neuartige Siliciumcarbid-Feldeffekt-Transistoren des kalifornischen Herstellers Semisouth verwenden. Spätestens da hätten HiFi-Freaks aufhorchen sollen. Denn diese News aus der Photovoltaik-Welt hat auch einiges mit Verstärkern zu tun.

Hier gibt es seit Neuestem auch SiC-Feldeffektler. Und effizienter schalten bedeutet nun mal, dass der Transistor a) nicht nur ein bisschen, sondern viel schneller und b) viel verzerrungsärmer agiert. Die überfällige Recherche ergab dann für a) den Faktor 10 bis 15 und b) für den Klirrabstand einer einfachen Grundschaltung eine Verbesserung von bis zu 20 Dezibel. Zu all dem addieren sich noch Wärme-Unempfindlichkeit (bis 600 Grad) und erhebliche Spannungsfestigkeit (bis 1200 Volt).
Man darf es gerne so sehen, dass solch ein Leistungs-SiC-Transistor - bei Vorteilen in der Stromlieferfähigkeit - tatsächlich viel eher der seit jeher äußerst begabten Vakuumröhre gleicht als seine Nur-Silicium-Altgenossen.
Ralf Koenen, Chef der High-End-Schmiede Progressive Audio, bekam dank seiner Kontakte zu den Frauenhofer-Leuten - vor allem auch zu dem Institut, das sich mit der Multilautsprecher-Wellenfeldsynthese beschäftigt - relativ bald Wind von den neuen Wunderhalbleitern. Mitte 2008 konnte er die ersten Semisouth-Chargen (für nicht gerade wenig Geld) ergattern.
Dann galt es über einige Monate, eine rabiat fixe Regelschaltung zu entwickeln, um die neuen Transistoren zu bändigen. Denn bei all ihrer Schnelligkeit erwies sich, dass sie gern zu wilden Schwingungen neigen. Schließlich zeigten sie individuelle Anwandlungen, sodass die externe Arbeitspunkt- und Offset-Automatik sich als absolut zwingend erwies.

Doch wie diese nun genau funktioniert - darüber schweigt sich der Meister verständlicherweise aus, was im aktuellen Fall sogar die stereoplay-Tester akzeptierten. Und noch eine Schwierigkeit: Bis dato gibt es von den Siliciumcarbidlern nur solche für positive Versorgungsspannungen, die allübliche, Ruhestrom sparende Gegentaktschaltung kam nicht infrage. Das passte bei den schon existierenden Progressive-Audio-Amps aber. Denn weil er nicht die allergeringste Unsymmetrie hinnehmen wollte, bestückte Koenen die Ausgangsstufen schon vor SiC-Zeiten ausschließlich mit Plus-Halbleitern. Und zwar in einer Brückenkonfiguration, bei der ein Transistor mit dem einen und ein anderer mit dem zweiten Pol der angeschlossenen Box in Verbindung steht; und weil jeder der beiden Transistoren trotzdem die vollen Auslenkungen nach oben wie nach unten verarbeiten muss, mit sehr hohem Ruhestrom. In den High-End-Jargon übersetzt, heißt das: "Brücke mit zweimal Single Ended Class A". Und nun kommt seit Anfang 2009 bei Progressive Audio noch ein "in Siliciumcarbid und mit schnellen Reglern" dazu.
Ob mit oder ohne Siliciumcarbid - der von stereoplay getestete A 2 für 18200 Euro (der ähnliche A 1 mit kleinerer Leistung kostet circa die Hälfte) braucht sich nicht zu verstecken. Der in Flugzeugbau-Alu gewandete, nur via Ferngeber zu bedienende Verstärker zeigt nicht nur in der Endstufe, sondern insgesamt einen symmetrischen Aufbau mit pro Kanal zwei eigenständigen Schaltungszügen. Plus- und Minus-XLR-Ankömmlinge (Cinchsignale werden sofort am Eingang symmetriert) finden also ihre eigenen, aus Einzeltransistoren komponierten Eingangs-Pufferstufen vor, die ihnen subito Strom- und damit Einstreu-Abwehrkraft verleihen. Eine extrem rauscharme Feldeffekt-Gegentaktstufe hebt die Schwingungen dann so stark an, dass ihnen die nachfolgende Pegelregelung nicht mehr am Störabstands-Kittel flicken kann.
In Zusammenarbeit mit Präzisionswiderständen stellen dann je Kanal acht Doppelkontakt-Vakuumrelais mit einer von 128 einzelnen 0,75-dB-Stufen die gewünschte Abdämpfung ein. Was folgt, sind wieder saubere FETs, schließlich hüben und drüben eine mit acht Leistungstransistoren arbeitende Treiberstufe, die locker allein einen Lautsprecher treiben kann. Im A 2 dient sie einzig dazu, die Eingangskapazität der SiC-End-FETs umzuladen - ein Job, der ihr mit aller gebotenen Strenge gegenüber den ungestümen Gesellen sicher gelingt.

Und wie sie das meistert! Das zeigte sich beispielsweise in "Besame Mucho" von der stereoplay-CD/SACD "Ultimate Tunes". 1000 Mal gehört, aber noch nicht so. Die ersten Schläge auf das Schlagzeugbecken lösten nicht nur das gewohnte Zingern, sondern schöner funkelnde, sich vielfältig überlagernde und dreidimensional ausbreitende Wellenringe aus. Den zuallermeist sehr eindrucksvollen Wirbel auf der Snare versah der Progressive Audio mit geradezu beängstigender Intensität. Da knallte es nicht nur an dieser oder jener Stelle, da nahmen die Hörer schon die Beulen und Narben des armen Trommelfells wahr. Und wenn der Drummer sich dann noch mal streckte und fester und fester schlegelte, kam unwillkürlich die Angst auf, dass ein Stock jetzt bald in der gespannten Haut steckenbleibt.
Wie zur Erholung ließ der Progressive Audio die Klöppel dann anmutig-flink über die Vibraphon-Metallplatten huschen, es leuchtete herrlich frei und lange und schillerte paradiesisch bunt wie noch nie.
Dann war es Zeit, auch den Bass zu begrüßen, der - wie es nur absolute Topverstärker erlauben - sein vollständig eigenes Reich unterhalten kann. Und hoppla, da drehte dieser auch schon superelegant zu einem Sturzflug ein, um sich tiefer und tiefer hinabzustürzen und dabei immer mehr zu bauchen und sich immer mehr mit Substanz aufzufüllen. Und während so mancher konkurrierende Verstärker hier nur noch die beleidigte Pusteblume spielt, nahm das Ganze noch mehr Form, Fett und Schmackes an.

Der A 2 zieht Schleier weg
Den sich langsam aufschaukelnden Disput zwischen dem Bass und dem sich windenden Saxofon schilderte der Essener Verstärker denn auch extrem spannend, gleichzeitig gab er Linda Sharrocks Stimme neue feine Facetten, besonders viel Leben mit.
Gar keine Frage - allein mit diesem Titel spielte sich der im Ausgang ohne jegliche Gegenkopplungsschleife arbeitende Amp bereits in den Verstärkerhimmel. Die Tester mussten alles aufbieten, um zu zeigen, dass er sich darin nicht alleine befand. AMP- oder Ayre-Monos, die Thorens-Referenzvorstufe - jawohl, mit solch einer mehr als doppelt so teuren Verstärkerkette türmten die großen Magico M5 etwa bei einem Brahms'schen Klavierkonzert noch majestätischere Streicherwogen auf, während Klavierläufe noch unbenetzter, noch kugeliger und gelöster perlten.
Bei Transistor-Vollverstärkern ist der A 2 von Progressive Audio aber die Sensation: der Stein der Weisen.
Wissenswertes

Siliciumcarbid: Die von Kohlenstoff und Silicium gebildete Verbindung mit tetraedrischer Grundstruktur findet sich in der Natur nur ganz selten - als Moissanit in Meteor- oder Vulkangestein. Industriell wird sie in großen Mengen als Carborundum-Schleifmittel hergestellt. Härter als jede Stahlsorte, wird Siliciumcarbid nur von Diamant geritzt (Mohshärten 9,6 und 10,0). Dazu zeigt es hohe Temperaturfestigkeit, es zersetzt sich an der Luft erst bei 2300 Grad. Sehr günstige Halbleiter-Eigenschaften deuten auf eine große Zukunft des Materials auch in der Elektronik.
Class A: Bei der Ausgangsleistung des Progressive Audio A 2 ermittelte stereoplay 122 Watt an 4 Ohm. Dabei gilt es zu bedenken, dass der Verstärker im reinen Class-A-Modus läuft.
Leistung: Für einen Class-A-Amp bietet der A 2 dann doch sehr ordentlich Leistung. Energie ähnlicher Größenordnung schlägt der Amp über seine Seiten-Kühlkörper ab, die dabei handwarm bleiben.
Pegel: Das Display des A 2 zeigt den eingestellten Wert in Zahlen an. Es gibt insgesamt 128 Stufen a 0,75 Dezibel. Bei Bedarf lässt sich der Vollverstärker auch auf einzigen Knopfdruck muten.