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Retro-HiFi Lautsprecher

JBL L100 Classic im Test

Wer diesen Lautsprecher kauft, bekommt die Zeitreise inklusive. In das Jahrzehnt, als Männer noch Männer sein durften, in eine Welt der Musik voller Dynamik, Lebensfreude und Energie. Aber mit der Klangqualität von heute. Lesen Sie unseren Test zum L100 Classic von JBL.

Autor: Stefan Schickedanz • 18.7.2019 • ca. 2:50 Min

JBL L100 Classic im Test
Die Retro L100 orientiert sich in den Proportionen stark an der ursprünglichen von 1970, ist aber deutlich größer.
© JBL

Ab 1970 eroberten die ersten Lautsprecher, die den Namen Männerbox verdienten, mit echtem Tiefton die Wohnzimmer. Drei-Wege war damals angesagt, das Prinzip stand für Klangqualität, massige Gehäuse symbolisierten Dynamik und erwachsene Bässe strahlten Männlichkeit aus. Eine Ikone dieser Z...

Pro

  • bestechende Klangfarben

Contra

  • etwas übersatter Bass

Fazit

stereoplay Testurteil: 80 Punkte; Klang: absolute Spitzenklasse (60 Punkte); Preis/Leistung: überragend

  Hervorragend

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Ab 1970 eroberten die ersten Lautsprecher, die den Namen Männerbox verdienten, mit echtem Tiefton die Wohnzimmer. Drei-Wege war damals angesagt, das Prinzip stand für Klangqualität, massige Gehäuse symbolisierten Dynamik und erwachsene Bässe strahlten Männlichkeit aus. 

Eine Ikone dieser Zeit erscheint nun nach 49 Jahren neu: Die JBL L100 mit dem Zusatz Classic schreit förmlich danach, neben einer roten Corvette und einem echten Typen wie Burt Reynolds nebst aufgeknöpftem Hemd fotografiert zu werden. 

Wer im Hier und Jetzt, dem Zeitalter von Energiesparen, Geschlechtergerechtigkeit und Bluetooth-Böxchen für die Damenhandtasche, einen solchen Lautsprecher auch nur zu kaufen überlegt, müsste eigentlich mit einem Gegensturm des Zeitgeists zu rechnen haben wie nur Steakesser und Musclecar-Fahrer auf einer Klima-Demo.

Doch nichts da. Mit dem Surfen auf der Retro-Welle nebst passender Farbgebung verstummen alle Nörgler, der zukünftige Besitzer kann sich sogar als stilsicherer Interiorspezialist empfehlen. Frieden den Design-Wohnzimmern!

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Technik satter 

Letzte Zweifel von Klimaaktivisten kann man durch einen Verweis auf die technischen Daten beiseitewischen: Ja, bei Passivboxen verhält es sich umgekehrt wie bei Autos, der 12- Zoll-Tieftöner wird mit 90 Dezibel als besonders stromsparend angegeben. Er spielt auf einem großzügigen Volumen von etwa 70 Litern und bedient sich eines röhrenförmigen Reflexes zur Unterstützung. 

Die klassische Pappmembran wurde durch eine Lage „Aqua-plas“ beschichtet, die mitnichten für Wasserdichtigkeit bei Poolpartys steht, sondern durch Härte und Verschluss der Poren mittels Spezialplastik für Schnelligkeit sorgt. Anders als in der HiFi-Hochzeit üblich, beschaltet die Frequenzweiche die Chassis in einer klassischen Drei-Wege-Aufteilung. 

JBL L100 Classic im Test - Titankalotte
Die Titankalotte bekam statt Filzring einen Waveguide.
© JBL

Der Bass spielt bis 420 Hz und sorgt für entsprechende Dynamik, während der Mitteltöner bis 3500 Hz eingesetzt wird. So kann JBL hier einen eher kleinen leichten und damit schnellen Mitteltöner verpflichten. Der 5,25-Zoller besitzt eine polymerbeschichtete Papiermembran. Ebenfalls klassischen Aufbau, auf heutiges Klangniveau gebracht, verspricht die 1-Zoll-Titankalotte. Der Hersteller verweist auf die weiche Sicke und den Waveguide, der Kantenreflexionen praktisch ausblendet und damit auch das Problem der asymmetrischen Chassisanordnung obsolet macht.

Toys for boys

Womit spielten Männer in den 1970ern? An Bi-Wiring dachte damals noch niemand. Doch wie ihre Urahnen besitzt die L100 Classic gleich zwei Drehregler auf der Schallwand, mit denen sich der Pegel von Mittel- und Hochtöner feinfühlig dosieren lässt. 

Was damals akustisch Pflicht war – man denke akustisch an plüschig-überdämpfte Wohnzimmer mit Sofa-Landschaften, Perserkatzen und Wandteppichen – macht auch heute noch Sinn. Zweite Spielwiese für Play-Boys: die Farbgebung der Schaumstofffront. Das stabile Hauptgehäuse mit bis zu 25mm starken Wänden bleibt dabei immer in Nussbaum.

Wie ein Baum stand auch Herbert Grönemeyer mit seiner „Männer“-Hymne (Unplugged) im Hörraum. Im Intro konzentrierte die JBL ihre Energie noch mit sattem, behände hämmernden Bass auf die Rhythmus-Grippe, die mit ansatzlosem Punch loslegte, als stünde der Hörer unmittelbar auf der Bühne. 

Doch als Stimme und akustische Begleitung in angemessener Distanz Platz nahmen und mit greifbarer Dreidimensionalität sehr weit hoch projiziert wurden, war klar: Hier ist eine audiophile Männerbox mit Gefühl am Werke, kein grobschlächtriges PA-Böxchen. Nächster Versuch mit einem aus psychoanalytischer Sicht maximal verletzten Mann: 

JBL L100 Classic im Test -  12-Zoll-Bolide
Der 12-Zoll-Bolide lässt mit massivem Gusskorb und langbauendem Schwingspulenträger selbst angeberischste PA- und Car-HiFi-Chassis verblassen. Die Weiche ist, im Gegensatz zum historischen Modell, aufwendig bestückt.
© JBL

Darth Vaders Marsch aus „Star Wars“ (Erich Kunzel) klang mit Pauken und Kontrabässen wuchtig und massiv, doch keineswegs wie ein billiger Kinosoundtrack aus den 1970ern, sondern in der weiten Raumstaffelung und flirrenden Orchesterfarben eher nach klassischer Musik im Konzertsaal. 

Was danach auch in den Player wanderte, von Inga Rumpfs „It’s a men’s world“ bis Eric Claptons „Forever Man“, die L100 wich wie Schwarzenegger beim „Chicken Game“ keinen Millimeter mehr ab von ihrer sprühenden Live-Performance mit satt-fetten Rhythmen, unglaublicher Spielfreude, aber zugleich Gentleman-Eigenschaften bei Klangfarben und sanfter Wärme. Eine Box wie ein ultimativ getunter Brabus-Benz: außen klassisch, innen brachial mit Herz.

Fazit

Unglaublich livehaftige Dynamik mit schier endlosen Reserven, bleibt die L100 Classic trotzdem eine kultiviert-audiophile Box mit bestechenden Klangfarben. Etwas übersatter, aber knackig-tiefer Bass und breite, schön in Tiefe und Höhe gestaffelte Abbildung.