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Testbericht

Röhren-Vollverstärker Cayin MP 100 S

Nach dem fantastischen A 100 T mit vier Endröhren pro Kanal kommt Cayin jetzt mit einem schwereren und teureren, aber nur pärchenweise bestückten Vollverstärker heraus. Bringt der neue Cayin MP 100 S (5400 Euro) dennoch besseren Klang?

Autor: Johannes Maier • 19.1.2011 • ca. 3:40 Min

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Inhalt
  1. Röhren-Vollverstärker Cayin MP 100 S
  2. Datenblatt

Der Glaube, dass es sich bei Röhrenverstärkern um anheimelnde, aber im Grunde veraltete Retro-Produkte handelt, gehört wohl für immer der Vergangenheit an. Fast alle High Ender werden das Gegenteil bekräftigen. Perfekt leicht anzusteuern, schnell ohne Ende, auch ohne Gegenkopplung verzerrungsar...

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Die an den Testpunkten gemessene Spannung soll 0,4 Volt betragen. Das entspricht dann 40 mA Ruhestrom.
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Der Glaube, dass es sich bei Röhrenverstärkern um anheimelnde, aber im Grunde veraltete Retro-Produkte handelt, gehört wohl für immer der Vergangenheit an. Fast alle High Ender werden das Gegenteil bekräftigen. Perfekt leicht anzusteuern, schnell ohne Ende, auch ohne Gegenkopplung verzerrungsarm, minimale Rückwirkungen - auch ganz kühl betrachtet, bringen die bewährten Glimmkolben immer noch entscheidende Vorzüge mit. Das wird selbst dann noch gelten, wenn die Halbleiterwelt in den nächsten Jahrzehnten den sich gerade anbahnenden Quantensprung mit günstigeren Substraten vollzogen hat.

Freudig begrüßt stereoplay deshalb den brandneuen Vollverstärker MP 100 S für 5400 Euro - zumal Cayin dessen Äußeres geradezu futuristisch gestaltet hat. Zunächst mal erinnert der Aufbau an eine leckere Riesenwaffel - dann fordert er gehörig Respekt ab: Zentimeterdicke Aluplatten an den Enden so schön und genau hinzubiegen und so perfekt feinzuschleifen - das kriegt so schnell keine andere Werkbank hin.

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Der Amp besitzt drei Hochpegel- Eingänge und einen "Pre-In" genannten Fixpegel-Anschluss, etwa für den Surround-Verbund.
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"Was soll dieser unnötige Aufwand?", heben nun vielleicht die HiFi-Nörgler an, während ihre Blicke über die kunstvoll geschmirgelten Trafo-Häuschen streifen. Doch andere werden sich zufrieden die Hände reiben. Sie wünschen sich solche Schmuckstücke in ihrer Wohnung. Obendrein dient das viele Aluminium ja der perfekten Abschirmung gegen äußere Einflüsse. Zum guten Schluss überzeugt der 34 Kilo schwere Verstärker mit einer sehr ausgeglichenen Wärmeverteilung - und die kommt vielleicht der Lebensdauer und auch dem Klang zugute.

Beim Vergleich mit dem Cayin A 100 T (3800 Euro, 29 Kilo, 11/08) kommen dann doch Bedenken. Zog jener noch mit ingesamt acht Endröhren KT 88 nebst Extra-Treiberröhren ins Feld, musste bei dem neuen Alu-Boliden eine Normalbestückung reichen. Und da selbst Röhren nicht zaubern können, gibt es jetzt mit rund 40 statt 80 auch nur noch halb so viele Watt.

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Vom Lautstärke-Poti kommend, erreichen die Musiksignale die erste Triode, die bereits einen Großteil der Spannungsverstärkung übernimmt. Die nachfolgende Triode unterbindet Rückwirkungen und treibt über ihre Kathode die obere von zwei Trioden einer Gegentakt-Phasensplitter-Stufe an. Da die Kathoden in Verbindung stehen und ihr Steuergitter wechselspannungsmäßig an Masse liegt, wird die untere Triode gezwungen, gleiche Auslenkungen wie die obere vorzunehmen - allerdings mit umgekehrtem Vorzeichen. Mit dem entsprechenden Hü-und-Hott-Signal steuert der Splitter die Endstufe an. Dank der Schaltungsauslenkung werden erst an dieser Stelle gleichspannungstrennende und Musik leitende Koppelkondensatoren nötig. Die mit einer negativen Steuergitter-Vorspannung eingestellten Endröhren arbeiten dann dem Ausgangsübertrager zu. Dieser fasst die Gegentaktsignale wieder zu einem zusammen.
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Zur Entschuldigung reicht das Alu nicht aus - also nehmen wir den MP 100 S gründlicher unter die Lupe. Als erstes fällt die auf der Oberseiten-Mitte angeordnete 6 SN 7 auf. Ihre Triodensysteme arbeiten zusammen mit Zehnerdioden als Regelschaltungen, die dafür sorgen, dass die Eingangstufen eine extra stabile und saubere Versorgungsspannung bekommen. Dürfen sich die kleinen ECC 83 also über einen Luxus freuen, müssen sie im Vergleich mit denen im A 100 T nicht mehr so viel verstärken. Die erste hebt die Signalspannung noch etwas an; die zweite dient - indem sie den dann schon folgenden Phasensplitter statt über die Anoden über die Kathoden antreibt - nur noch als Trennstufe und Impedanzwandler. Da nun die Treiber- und die Ausgangsstufen auch nur begrenzt zur Spannungsanhebung beitragen, kristallisiert sich langsam die Cayin-Idee heraus: Die Entwickler legten ihren neuen Verstärker auf eine noch sauberere Signalverarbeitung aus - und damit so, dass er mit einem geringeren Maß der Zwangskorrektur Gegenkopplung auskommt.

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Für die wenigen Kondensatoren, die Musiksignale sehen, hat Cayin besonders verlustarme Folientypen "MCap supreme" des deutschen Spezialisten Mundorf gewählt.
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Verfuhren die Ingenieure hier ähnlich wie Oktave bei der klanglichen Weiterentwicklung seines V 40 (7/09)? Die Vermutung bestätigt sich durch den Widerstand in der Rückleitung, die vom Laustprecherausgang auf die erste Triode zurückführt. Sein Wert beträgt ungewöhnlich hohe 120 Kiloohm - das bedeutet, dass es eine Über-alles-Gegenkopplung theoretisch noch gibt, aber in der praktischen Wirkung allenfalls noch eine zarte Andeutung davon. Und während im A 100 T das Feedback den Verstärkungsfaktor zuletzt wieder deutlich reduzierte, läuft's beim MP 100 S nur auf eine sanfte Verminderung hinaus.

Wie schon bei einer ganzen Reihe Cayins lassen sich auch beim MP 100 S die Endröhren-Schirmgitter per Relais wahlweise auf Trafo-Anzapfungen oder direkt auf Anoden-Potential legen, wobei die erstere Betriebsart den Testern eindeutig besser gefiel. Hier klang es eindeutig frischer und direkter, während es in der "Triode" genannten Betriebsart mulmiger und distanzierter tönte.

Zurück auf "Ultralinear" gestellt, dachte der Cayin aber beileibe nicht daran, sich in überbordendem Röhren-Höhencharme zu ergießen. Er spielte untenherum impulsiv, aber sehr genau, in den Mitten reichhaltig-farbig, aber nie zu stark aufgetragen, und bei allen möglichen Feinheiten auch obenherum züchtig und beherrscht.

Also wie ein richtiger Langweiler? Mitnichten. Denn was nur bei wenigen, ganz hervorragenden Amps eintritt, passierte auch mit dem Cayin. Da genießt der Hörer herrlich raubauzige Kontrabass-Schnalzer, trockene Hiebe auf die Snaredrum, den Messingglanz zuckelnder Hi-Hats und diamantartig leuchtende Piano-Töne. Dann treibt alles auf einen Punkt zu, fügt sich etwa nach einer rhythmischen Finte neu zusammen - von hier an haben sich gewissermaßen der Verstärkerklang und das Hörergehirn synchronisiert.

Dies schafft einen Zugang höherer Ordnung - zu einem Untergrund-Reich vielfältigster Formen, Windungen und Reibungen. Und zu subtilsten Beziehungen, die diese Welt mit der mittleren unterhält. In so schöner Begleitung singt etwa Vienna Teng viel gelöster, viel inniger und mit lebendigerem Atem und Zungenschlag. Dazu setzt die Percussion nichts bösartig Bissiges, sondern nur schöne Glanzlichter auf.

Und der A 100 T? Der klang obenherum etwas sanfter, weicher und überraschenderweise - trotz seiner höheren Leistung - im Bass nicht praller, sondern eher ein wenig nachlässiger. Der MP 100 S wirkte in jeder Hinsicht entschlossener, intensiver und konturfreudiger. So erhält der High-Ender mit dem neuen schwereren Cayin auch einen musikalischen Mehrwert.         

Cayin MP 100 S

Vollbild an/aus
Cayin MP 100 S
Cayin MP 100 S
HerstellerCayin
Preis5400.00 €
Wertung58.0 Punkte
Testverfahren1.0
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