Kommentar zur Google I/O 2023
Google demokratisiert Künstliche Intelligenz
Auf der Entwicklermesse I/O 2023 findet ein angezähltes Google wieder zu alter Stärke zurück. Und zeigt einmal mehr, dass Innovationen erst ihre volle Durchschlagskraft entfalten, wenn sie den Massenmarkt erreichen.

Als ChatGPT Ende November 2022 für die Öffentlichkeit freigegeben wurde und einen noch nie dagewesenen Hype um Künstliche Intelligenz auslöste, sah ein Unternehmen plötzlich aus wie der Loser, der den letzten Zug verpasst hat. Die "AI first company" Google musste hilflos zuschauen, wie andere ihr die Show stahlen. Es ging sogar so weit, dass wieder über die Suchmaschine Bing vom ChatGPT-Partner Microsoft als ernsthafter Alternative zur Google-Suche diskutiert wurde. Für Google war die Entwicklung umso bitterer, als dass die Chat GPT zugrunde liegenden mathematischen Modelle (Transformer) 2017 in den Google-Labs entwickelt wurden.
Die überhastete Präsentation des eigenen KI-Modells "Bard" Anfang Februar 2023 machte alles noch schlimmer für Google. Bard leistete sich peinliche Fehler, der Aktienkurs der Google-Mutter Alphabet schmierte ab. Und so langsam kam man ins Grübeln: Ist Bing vielleicht doch nicht so schlecht?
Die Keynote auf der I/O 2023 hat nun gezeigt, dass man Google noch lange nicht abschreiben sollte. Die wichtigsten Neuvorstellungen waren:
- PaLM 2 (Pathways Language Model): Die zweite Generation des wie Chat GPT auf Transformern basierenden KI-Sprachmodells unterstützt nun mehr als 100 Sprachen und soll laut Google in der Lage sein, logisch zu argumentieren. PaLM 2 wird in vier Größen entwickelt: Gecko, Otter, Bison und Unicorn. Gecko ist dabei so schlank angelegt, dass es auf Smartphones eingesetzt werden kann und schnell genug für interaktive Anwendungen ist, selbst wenn das Smartphone offline ist.
- Bard: Mit Bard bezeichnet Google seinen KI-Assistenten, er ist quasi Googles Chat GPT, oder, anders formuliert: Bard ist die Schnittstelle von PaLM zum Nutzer. Der bisher nur in Großbritannien und den USA zugängliche KI-Assistent wurde bereits auf PaLM 2 umgestellt und ist seit heute in weiteren 180 Ländern öffentlich zugänglich.
- Pixel: Google hat das Pixel-Portfolio um drei neue Modelle erweitert. Das Falt-Smartphone Pixel Fold (News-Artikel) ist Highend, das Pixel Tablet (News-Artikel) denkt die Tablet-Nutzung weiter und das Pixel 7a (erster Test) bringt das Google-Knowhow in die Mittelklasse.
Viele werden sich nun Fragen, wo sich hier die bahnbrechenden Neuerungen verstecken, warum der Aktienkurs von Alphabet heute um mehr als 5 Prozent zugelegt hat.
Die Antwort lautet: 12 Milliarden Nutzer.
Auf der Keynote zur I/O erklärte Google-Chef Sundar Pichai, dass 6 Google-Apps beziehungsweise -Dienste jeweils mehr als 2 Milliarden Nutzer haben: die Suche, GMail, Android, der Chrome-Browser, YouTube, der Play Store. Eine unvorstellbare Zahl, die ein Schlaglicht wirft auf das große Defizit von Chat GPT: Dem Chatbot von OpenAI fehlt das Produkt. Man erreicht die KI nur über das Browser-Fenster, die Integration in Microsoft-Dienste wird sie zugänglicher machen, aber auch dann ist man immer noch weit entfernt von dem, was Google zu leisten in der Lage ist.
Denn Google wird KI in Form von Bard/PaLM 2 in alle seine Produkte integrieren. Dass man in Google Tabellen eine komplexe Tabelle mit Formeln künftig von der KI erstellen lassen kann, einfach, indem man in ein Dialogfenster schreibt "Ich brauche eine Tabelle für XX mit einer Spalte für XX und einer Verknüpfung mit XX", gehört eher noch zu den banaleren Anwendungen, die in dieser Form auch in Office zu finden sein werden.
Den Unterschied aber machen Dienste wie Gmail, wo es künftig ein Icon geben wird, mit dessen Hilfe man E-Mail-Antworten von der KI formulieren lassen kann. Und im Gegensatz zu ChatGPT "kennt" Google bereits den gesamten E-Mail-Thread und kann die Antwort maßgeschneidert und direkt in das Antwortfeld hinein formulieren. In die gleiche Kerbe schlägt der neue Schreibassistent für die Messages-App von Android: Er analysiert den Kontext von Nachrichten und schlägt darauf basierend passende Antworten vor – inklusive der Simulation verschiedener Schreibstile.
Google hat eine riesige Nutzerbasis, die bereitwillig das liefert, was gerne als das Gold der digitalen Ära bezeichnet wird: Daten. Wer künftig Google-Produkte nutzt, wird KI nutzen, ohne zu wissen, dass es sich um KI handelt. Auf diese Weise wird KI geräuschlos und leise in den Alltag wandern. Eine stille Revolution, wenn man so will. Die ohne Google nicht möglich wäre.
Dass KI allerdings noch viele rechtliche und regulatorische Fragen aufwirft, zeigt die Tatsache, dass Bard weiterhin nicht in der EU verfügbar ist, weil Google keine Konformität mit der DSGVO gewährleisten kann. Wer Bard ausprobieren möchte, muss den Umweg über VPN gehen.
Weiter zur Startseite