IAA 2015: Car Connectivity
Zukunft der Navigation: Das planen Audi, BMW und Mercedes
2,8 Milliarden Euro will ein Konsortium aus Audi, BMW und Mercedes für die bisherige Nokia-Tochter Here bezahlen. Was kann der Kartenhersteller so gut, dass er zum strategischen Juwel wurde?

Anfang August wurde es offiziell: Die drei deutschen Autogiganten Audi, BMW und Mercedes tun sich zusammen, um gemeinsam den Digitalkartenlieferanten Here seiner bisherigen Mutter Nokia abzukaufen.
Facebook und Uber sind abgeblitzt
Wie bei solchen Deals üblich, müssen die Kartellbehörden den Verkauf noch genehmigen – Branchenkenner erwarten dafür aber keine Hürden. Fast interessanter ist, wer bei dem Geschäft nicht zum Zug kam: Laut Gerüchteküche hatten auch Facebook und der Taxi-Schreck Uber großes Interesse an Here gezeigt. Wie spannend es hinter den Kulissen zuging, bleibt im Dunkeln – gewonnen haben den Bieterkampf jedenfalls die deutschen Autokonzerne.
Die meisten Wirtschaftsmedien interpretierten den Schritt von Audi, BMW und Mercedes als strategische Gegenmaßnahme gegen Google und Apple, die ja mehr oder weniger deutliches Interesse daran zeigen, den Automarkt aufzumischen. Auch wenn dies nicht ganz von der Hand zu weisen ist, dürfte der Hintergrund des Verkaufs aber doch eher auf der technologischen Ebene zu erklären sein.
Nach eigener Auskunft hat Here bei Navigationskartendaten einen Marktanteil von rund 80 Prozent: Allein im Jahr 2014 will Here rund 13 Millionen Fahrzeuge beliefert haben. Neben den drei bereits genannten deutschen Herstellern beziehen unter anderem auch General Motors, Ford, Jaguar, Land Rover, Honda, Nissan und Renault digitale Kartendaten von Here. Außerdem erfreut sich die kostenlose Navi-App für iOS, Android und Windows Phone großer Beliebtheit.
Die vermutlichen neuen Besitzer beeilten sich denn auch anzukündigen, dass Here weiterhin Kartendaten an andere Hersteller liefern würde. Auch die Gratis-Navi-App soll ihren Fans aller Voraussicht nach erhalten bleiben.

Hochpräzise Kartendaten
Um die klassischen GPS-Karten geht es bei dem Deal ohnehin nicht. Viel wichtiger sind den Autoherstellern die neuen hochpräzisen Straßenkarten, an denen Here bereits seit Längerem arbeitet. Denn die sind die Voraussetzung für autonom fahrende Autos – das große Entwicklungsziel der Branche.
Selbststeuernde Fahrzeuge benötigen viel exaktere Daten über den Streckenverlauf als sie heute in GPS-Navgationskarten enthalten sind – zum Beispiel die tatsächliche Straßenbreite, den Abstand der Fahrspuren untereinander und zum Fahrbahnrand, Kurvenradien, Steigungen und Gefälle, Bebauung und Beschilderung neben der Straße und vieles mehr. Um solche hochgenauen Straßenkarten zu digitalisieren, fahren bereits seit etwa zwei Jahren mehrere Dutzend Spezialfahrzeuge die zu erfassenden Strecken ab. Sie sind mit Kameras, aber auch Spezialsensoren wie Radar, Laser und Lidar (Light detection and ranging – eine Art Radar, das mit Lichtwellen arbeitet) bestückt und sammeln die von den Autoherstellern so dringend benötigten Daten.
Denn hochpräzise Karteninformationen werden nicht erst dann wichtig, wenn Autos ihre Passagiere wirklich per Autopilot über Autobahnen und Landstraßen chauffieren. Vielmehr besteht der Weg zum autonomen Fahren aus vielen Zwischenschritten, deren Leistungs- und Funktionsumfang sich von Jahr zu Jahr steigert.

Die Modellgeneration 2016 bietet etwa Autobahn-Stauassistenten, die bei Geschwindigkeiten bis etwa 30 km/h autonom dem Vordermann hinterherfahren und dabei nicht nur beschleunigen und bremsen, sondern auch selbstständig lenken. Oder Effizienzassistenten beziehungsweise prädiktive Tempomaten, die auf Basis des digital bekannten Streckenverlaufs das Automatikgetriebe steuern und Empfehlungen geben – etwa vom Beschleunigen abraten, wenn hinter der nächsten Kuppe die Autobahnabfahrt wartet.
Solche Funktionen basieren schon heute auf hochpräzisen Kartendaten. Nicht nur sie sind für künftige Dienste und Strategien der Autobauer eine wichtige Ressource. Ein weiterer strategisch bedeutsamer Baustein sind Echtzeit-Verkehrsinformationen, wie sie Here etwa mit eigenen Daten- und Lagezentren aggregiert und dann über verschiedene Kanäle von TMC Pro bis hin zu Online-Abos an die Fahrer und Fahrzeuge aussendet.
Informationsquellen für solche Dienste sind neben Streckensensoren und örtlichen Verkehrsleitstellen auch Rückmeldungen der Sensordaten, die vernetzte Autos selbst erfassen und ins Netz zurückmelden.

Strategische Absicherung
Vielleicht hätten die Autobauer all dies auch weiterhin von Here kaufen oder lizensieren können. Allerdings war unsicher, wie lange noch: Nokia wollte Here auf jeden Fall verkaufen – nachdem die Finnen ihre Lumia-Smartphones an Microsoft abgegeben und den Netzausrüster Alcatel-Lucent erworben haben, steht bei ihnen eine Neuausrichtung an.
Vor diesem Hintergrund und angesichts der Mitbieter wollten Audi, BMW und Mercedes wohl klare Verhältnisse schaffen.
