Testbericht
Röhrenvollverstärker: Ayon Spirit III
Ayon baut nicht nur gut klingende, sondern auch kräftige Röhren-Amps - das bewies der Orion. Der Spirit III lässt sich statt mit KT88 mit Highpower-Röhren KT120 bestücken. Legt er damit einen Zahn zu?
- Röhrenvollverstärker: Ayon Spirit III
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Nach dem ersten Auspacken des 31 Kilo schweren Ayon Spirit III kam als erste Reaktion ein "Schade". Besaß der kleinere Orion für 2000 Euro noch einen praktischen USB-Eingang und eine Kopfhörerbuchse, nahmen die österreichischen Entwickler bei dem neuen Röhrenverstärker für 3500 Euro andere Dinge in den Fokus. Ein noch kernigerer Netztrafo und schwerere Ausgangsübertrager wurden jetzt in Fernost auf das Chassis aus dicken Aluplatten gewuchtet. Statt mattschwarz gespritzter gab es jetzt schönere, verchromte Abschirmkappen, die das heimelige Glimmen und die Wärme der Röhren reflektieren.

Und zwar intensiver denn je. Ayon bietet den Spirit nicht nur mit den teuren KT88 Gold Lion von Genalex im Ausgang an. Fürs selbe Geld gibt es auch eine Bestückung mit den neuen, sockelgleichen KT120 des russischen Herstellers Tung-Sol. Ihre dickeren und stärker beheizten Kathoden emittieren mehr Elektronen, die großflächigeren und mit Kühllamellen bewehrten Anoden fangen mehr Ladungsträgern auf, sodass aus den Highpower-Kolben gut ein Drittel mehr Leistung herauskommt.

Nun könnte es Besitzer geben, die ihren Verstärker mal mit diesen, mal mit jenen Endröhren betreiben wollen. Um ihnen umständliche Ruhestrom-Neujustagen bei den Wechseln zu ersparen, dachten sich die Ayon-Ingenieure eine Ruhestrom-Automatik aus. Genauer gesagt eine höchst clevere Halbautomatik. Denn die an der Regelung beteiligten ICs unterstehen sich, während der Musikwiedergabe einzugreifen. Dies würde zu unschönen Klangschwankungen führen.

Beim Spirit III greift die Elektronik daher erst nach dem Druck auf einen Bias-Setup-Knopf auf der Rückseite ein - also nach ausdrücklicher Aufforderung. In der Folge lässt sie sich, während der Verstärker mutet, für den umso genaueren Abgleich eine halbe Minute Zeit. Dann schließen die Schutzrelais unter vernehmbarem Klickern ihre Kontakte. Der Verstärker widmet sich wieder der Musikwiedergabe. Bis der Hörer eines Tages - etwa um Alterungsdrift vorzubeugen - die nächste 30-sekündige Justagepause befiehlt.
Bei den Vorstufenröhren gibt's dergleichen nicht zu befürchten, zumal Ayon die Aufgaben der Eingangs-Verstärkung und des Phasensplittings amtlichen Langlebe-Doppeltrioden des Typs Philips JAN 6189 übertrug (Joint Army Navy).
Luxuriös auch die Stromversorgung: Allein den beiden JANs stehen zwei Speicherelkos mit je 220 Mikrofarad Kapazität zur Verfügung. Dazu kommt eine Eisenkerndrossel, die sich mit einer Induktivität von 1,2 Henry - also mit hohem Wechselstromwiderstand - gegen Brummanteile und Störzuckern stemmt. Den Ausgangsstufen dienen eine 2-Henry-Kollegin und nicht weniger als acht weitere Elkos. Diese zeichnen sich durch ihre Herkunft vom geachteten japanischen Hersteller Rubicon und durch Hitzefestigkeit aus. Statt der üblichen 85 ertragen sie bis zu 105 Grad.
Eine Relaisbank für die Eingangswahl, schmucke Teflonkabel für den Signaltransport, 2,5 Millimeter starke Platinen mit vergoldeten Leiterbahnen, - Ayon trieb highendiger Ehrgeiz um. Neben vier Line-Ins gibt es einen zusätzlichen nicht lautstärkegeregelten Input sowie Pre-Outs. Bleibt nur ein einziges Ärgernis: der unechte symmetrische Eingang, der einen der ankommenden heißen Pole einfach ignoriert.
Dafür entschuldigte sich der Spirit III aber schon mit den ersten Takten Musik. In "Grandmother" rührte die bebende und sich dramatisch steigernde Stimme von Rebecca Pidgeon an wie nur selten. Die Gitarrenbegleitung rankte sich feinst verästelt drum herum und blühte förmlich auf.
Frech und mit allen Wassern gewaschen: Vienna Teng erschien ebenso lebensecht, die Pots-and-cans-Percussion von "Radio" klöppelte millimetergenau, trotzdem schier überschäumend vor Freude.

Bei alldem verbreitete der mit KT88 bestückte Ayon so etwas wie eine wohlige Weihnachtsbaum-Atmosphäre, die bei der Version mit den KT120 leider verschwand. Leider? Nach wenigen Minuten Umgewöhnung wollten die Tester nicht mehr zurück. Mochten die vertrauten Damen ruhig etwas spröder und sachlicher wirken - mit der Kunst, Impulsen noch getreuer zu folgen, bot der 120er eine viel plastischere, greifbarere Abbildung. Damit lud der Verstärker zu ganz neuen Streifzügen ein.

Etwa zu "November" von Dominic Miller, wo Bässe und Gitarren eine Art Klangurwald erzeugen. Bei minderen Verstärkern bleibt vieles im Dunkeln, der Ayon deckte die paradiesische Vielschichtigkeit und die feinsten bunten Texturen geradezu mit Hingabe auf.

Bei "Les Ondes Oriental" von Dhafer Youssef zwang der von der Oud-Laute vorgetragene hypnotische Rhythmus, auf dem Weg durch die musikalischen Haine zu folgen - bis hin zu dem Moment, wo sich der Muezzin-Gesang erhebt und sich die kristallklar schillernden Pianotöne zu immer hinreißenderen Läufen und schließlich zur Sturzflut verdichten.
Einfach märchenhaft! Bei diesem Titel blieb dem zum Vergleich herangezogenen Röhrenverstärker Audiomat Arpege (Test 11/10) nichts anderes übrig als zu passen. Bei der Wiedergabe eines Streichorchesters holte der nicht so fein auflösende, aber voller agierende Franzose wieder auf, weil der Geigenglanz via Spirit fast schon überzogen wirkte.
Dass die Tester bei 56 Punkten blieben, hat aber einen anderen Grund. Weil der Ayon keine Gegenkopplungs-Schleife und daher einen geringen Dämpfungsfaktor besitzt, passt er nicht zu jeder Box. Bei günstiger Auswahl bietet er aber höchstes klangliches Glück.
Ayon Spirit III (KT 120)
Ayon Spirit III (KT 120) | |
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Hersteller | Ayon |
Preis | 3500.00 € |
Wertung | 56.0 Punkte |
Testverfahren | 1.0 |