Nachhaltige Smartphones sind möglich
Fairphone 4 im Test
Bisher galt für Fairphone das Motto: Die Idee ist gut, aber die Umsetzung problematisch. Die neue Generation Fairphone 4 könnte ein Game Changer sein: Endlich ein nachhaltiges Smartphone mit einem modernen Design und modernen Technologien. Connect konnte das Phone bereits testen.

Das niederländische Startup Fairphone versucht bereits seit 2013, das Konzept eines sauberen und nachhaltigen Smartphones marktreif umzusetzen. Im Zentrum der Bemühungen stehen:
- faire Arbeitsbedingungen entlang der gesamten Lieferkette bis hin zu Kobalt- und Goldminen in Kongo und Uganda
- faire Löhne für alle Mitarbeiter entlang der Lieferkette
- robuste Modulbauweise und langer Software-Support für eine besonders lange Lebensdauer des Smartphones
Welcher Aufwand damit verbunden ist (und unter welchen ungerechten Bedingungen aktuelle Smartphones produziert werden), kann man erahnen, wenn man folgende Informationen aus der Pressemitteilung von Fairphone verinnerlicht:
- 2020 profitierten 10.717 Menschen von den sozialen, ökologischen oder wirtschaftlichen Maßnahmen von Fairphone in Minen und Fabriken. Damit konnte das Unternehmen im Vergleich zu 2018 die Arbeitsbedingungen von fast doppelt so vielen Menschen verbessern.
- um die Lücke zwischen dem chinesischen Mindestlohn und einem existenzsichernden Lohn zu schließen, erhielten chinesische Fabrikarbeiter*innen des Produktionslieferanten von Fairphone im Jahr 2020 einen Bonus, der mehr als vier Monatsgehältern entspricht.
- Fairphone hat die Liste fairer Materialien für die Entwicklung ihrer Smartphones um sechs Komponenten erweitert und konzentriert sich nun auf 14 Schlüssel-Materialien, die aus nachhaltigen und fairen Quellen stammen müssen. Für das Fairphone 4 sind dies Fairtrade-zertifiziertes Gold, Aluminium von Lieferanten, die nach dem Aluminium Stewardship Initiative (ASI) Performance Standard zertifiziert sind, faires Wolfram aus Ruanda sowie recyceltes Zinn, seltene Erden und Kunststoffe.
Aber nicht nur auf Seiten von Produktion und Produktentwicklung sind die Anstrengungen enorm. Auch auf dem Endprodukt lastet ein großer Druck, gilt es doch, mit dem Innovationstempo der etablierten Smartphone-Hersteller zumindest mitzuhalten. Bisher ist das nicht gelungen. Die früheren Fairphone-Generationen hatten immer das Problem, dass sie zum Marktstart technisch veraltet waren. Das Fairphone 4 spielt technisch zwar nicht vorne mit, aber es unterstützt 5G und hat ein Zweifach-Kamerasystem. Doch vor allem macht das Design einen gewaltigen Sprung.

Endlich stimmt die Optik
Das Fairphone 4 ist kein Klotz mehr wie die Vorgänger, es sieht diesmal aus wie ein normales Smartphone, wenn es auch mit 10,5 Millimetern dicker als die Norm ist. Der Rahmen aus eloxiertem Aluminium vermittelt Stabilität und ist haptisch sehr ansprechend. Uns hat auch das matte Polycarbonat der Rückseite sehr gut gefallen. Man kann sie abziehen und den Akku austauschen. Dass trotzdem Spritzwasserschutz nach IP54 besteht, verdient Anerkennung. Genauso wie die Tatsache, dass es sich um das erste Smartphone-Backcover handelt, das zu 100 Prozent aus recyceltem Kunststoff besteht.
Natürlich ist das Fairphone 4 nicht so elegant wie ein vergleichbares Modell für 600 Euro. Der Rahmen um das Display fällt breiter aus, die Aussparung für die Selfiekamera ist nicht punktförmig, sondern zieht sich wie eine Welle in das Display und nimmt viel Platz weg. Aber es ist ein Smartphone, das man guten Gewissens kaufen kann, weil es aus fair gehandelten beziehungsweise recycelten Materialien besteht. Fairphone verspricht zudem, dass es elektroschottneutral produziert wird, was bedeutet: Für jedes verkaufte Smartphone recycelt die Firma ein anderes Smartphone oder eine vergleichbare Menge Elektronikmüll. Eine solche Initiative würden wir uns auch von einer Samsung oder Apple wünschen.

Aber das Fairphone 4 hat noch mehr zu bieten als ein gutes Gewissen. Der Nutzer profitiert auch vom mit der Nachhaltigkeit eng verbundenen Langlebigkeitsgedanken: Fairphone gibt eine erweiterte Garantie von fünf Jahren auf das Produkt und stellt auch einen genauso langen Software-Support in Aussicht. Man garantiert Updates auf Android 12 und 13, Version 14 und 15 werden angestrebt. Wenn man sich den Software-Support der Vorgängermodelle (mit sechs Jahren Software-Support ab Markteinführung) anschaut, dann hat Fairphone immer geliefert, sodass die Aussagen realistisch erscheinen.
Wenn im Laufe der Zeit etwas kaputt geht, hilft der modulare Aufbau, der es ermöglicht, Teile wie Display oder Kamera ohne großen Aufwand und Vorwissen selbst auszutauschen. Dafür reicht es, die Komponenten per Kreuzschlitz-Schraubendreher vom Mainboard zu lösen und die Steckverbindungen abzuziehen. Wer hier Berührungsängste hat, findet auf der Website von Fairphone umfangreiche Tutorials, sodass praktisch nichts schief gehen kann. Im Fall der Fälle lässt sich viel Geld sparen: Während der Displaytausch bei einem aktuellen Top-Smartphone locker 350 Euro aufwärts kostet, gibt es ein Ersatzpanel zum selbst einbauen für 80 Euro im Fairphone-Shop.

Technisch weiterhin Defizite
Man verabschiedet sich mit dem Fairphone 4 also aus dem Hamsterrad, alle zwei Jahre ein neues Smartphone zu kaufen. Sorgen macht uns allerdings der Blick auf das SoC, das sich (noch) nicht per Schraubendreher austauschen lässt. Fairphone nutzt Qualcomms Mittelklasse-Fabrikat Snapdragon 750G, das im September 2020 vorgestellt wurde. Eine flüssige Bedienung und gute Performance ist damit aktuell gesichert, aber in zwei Jahren könnte die Leistung dafür nicht mehr ganz reichen.
Auch das 6,3-Zoll-Display hängt technisch hinterher. Ein LCD mit nur 60 Hertz ist in dieser Preisklasse nicht mehr zeitgemäß, entsprechend fehlt auch ein Always-on-Display. Immerhin gibt sich das Panel leuchtstark und kontrastreich.
Gut gefallen hat uns die Unterstützung für 5G und eSIM – in Puncto Connectivity ist das Fairphone 4 zukunftsfest. Auch das Kamerasystem macht vieles richtig, allerdings lassen sich Aussagen dazu nur eingeschränkt treffen, weil die Kamerasoftware zum Testzeitpunkt noch nicht final war. Momentan gilt: Das 48-Megapixel-Weitwinkel macht gute Fotos auch bei schlechten Lichtverhältnissen, ohne die Qualität eines Highenders wie dem iPhone 12 zu erreichen. Dieser Befund gilt ebenfalls für das Ultraweitwinkel, das somit nicht von der hohen Auflösung des 48-Megapixel-Sensors profitiert. Diese maximale Auflösung ließ sich im Test nur mit dem Weitwinkel ansteuern. Bei der Kamerasoftware sehen wir Optimierungspotential – Fairphone hat noch einigen Spielraum, um die mit ToF-Sensor, OIS und Farbsensor zeitgemäße Hardware-Basis auszureizen.

Android 11 ohne Schnickschnack
Bei der Software setzt Fairphone auf ein unverbasteltetes Android 11 mit vorinstallierten Google-Apps und -Services. Das System reagiert in jeder Situation geschmeidig. Es gibt keine Bloatware, einzig eine Service-App von Fairphone, über die es auch möglich ist, den Support zu kontaktieren, ist vorinstalliert. Der auf der linken Seite im Rahmen integrierte Fingerabdrucksensor arbeitet schnell und präzise. Eine Gesichtserkennung ist nicht implementiert.

Akku
Der Akku mit 3.905 mAh hat in unserem Test bei moderater Nutzung anderthalb Tage gehalten – man kommt also auch bei intensiver Nutzung problemlos durch den Tag. Hardcore-User können sich einen zweiten Akku kaufen (30 Euro im Fairphone-Shop) und bei Bedarf einfach wechseln – was früher normal war, ist heute eine absolute Ausnahmeerscheinung. Kabelloses Aufladen wird leider nicht unterstützt, dafür aber Qualcomms Schnellladetechnologie QuickCharge 4.1: Mit einem passenden 20-Watt-Netzteil (es wird keines mitgeliefert) steht der Akku nach 30 Minuten wieder bei 50 Prozent.
Fazit
Vor dem Hintergrund eines sich immer stärker abzeichnenden Klimawandels macht es das Fairphone 4 noch leichter, auf ein umweltverträgliches und nachhaltiges Smartphone umzusteigen. Die modulare Bauweise vereinfacht zudem die Reparatur im Fall der Fälle. Dafür muss man zwar bereit sein, auf neueste Technologien zu verzichten, aber der Abstand zu Apple, Samsung und Co. war noch nie so klein. Diesen Unternehmen hält das niederländische Startup Fairphone den Spiegel vor – und das Bild ist wenig schmeichelhaft.

Preise und Verfügbarkeit
Das Fairphone 4 kann ab dem 30. September 2021 über Fairphone.com vorbestellt werden. Ab dem 25. Oktober 2021 ist es europaweit über ein breites Vertriebsnetz erhältlich. Es gibt zwei Ausführungen: Die Version mit 6 GB RAM und 128 GB internem Speicher ist für 579 € in grauer Farbe erhältlich. Die leistungsstärkere Variante mit 8 GB RAM und 256 GB internem Speicher ist in Grau und Grün für 649 € verfügbar, sowie exklusiv auf der Fairphone-Website in einem grün gesprenkelten Farbton.
Fairphone 4 technische Daten
- Preis und Speicher: 579 Euro mit 6/128 GB, 649 Euro mit 8/256 GB
- Farben: Grau, Grün und „Green Speckled“ (letzteres exklusiv über fairphone.com)
- Größe und Gewicht: 162 x 76 x 11 Millimeter und 225 Gramm
- SoC: Qualcomm Snapdragon 750G mit 2,2 GHz
- Display: LCD mit 6,3 Zoll und 2340 x 1080 Pixel
- Hauptkamera: Weitwinkel (F1.6) mit 48 MP + Ultraweitwinkel (F2.2) mit 48 MP
- Frontkamera mit 25 MP
- Konnektivität: 5G, 4G, 3G, 2G, WiFi 5, Bluetooth 5.1, NFC, USB-C
- Dual-SIM + microSD (1x Nano SIM + 1x eSIM + 1x microSD)
- Akku mit 3.905 mAh
- System: Android 11
- Besonderheiten: Stereolautsprecher, spritzwasserfest nach IP54