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Linn Selekt DSM aktiv im Test

Wir leben im Schlaraffenland. Vor einiger Zeit brauchte es noch große Türme an Elektronik – Linn inszeniert die Gegenwelt: alles unter einer Haube, ein Füllhorn an Songs plus starker Kraft. Lesen Sie hierzu unseren Test.

Autor: Andreas Günther • 13.3.2019 • ca. 7:20 Min

Kleine Kiste alles an Bord: Linn Selekt DSM Aktiv im Test
Bewusste Reduktion: Auf der Front des Selekt DSM gibt es keine Farbwiedergabe für die Cover-Anzeige. Dafür eine knackscharfe OLED-Anzeige, die sich auch vom Sofa gut lesen lässt.
© Linn

Das ist genau der richtige Zeitpunkt, um mit ein paar Vorurteilen aufzuräumen. Die Schotten sind geizig und trinken die ganze Zeit Whisky. Stimmt nicht – zumindest im Falle Linn. Man residiert vor den Toren von Glasgow, ist äußerst nüchtern und dazu spendabel.Hier gibt es enorm viel High-End f...

Pro

  • schlau und potent
  • klanglich smart
  • schnell und hochauflösend

Contra

Fazit

Audio-Klangurteil: 127 Punkte, Preis/Leistung: überragend

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Das ist genau der richtige Zeitpunkt, um mit ein paar Vorurteilen aufzuräumen. Die Schotten sind geizig und trinken die ganze Zeit Whisky. Stimmt nicht – zumindest im Falle Linn. Man residiert vor den Toren von Glasgow, ist äußerst nüchtern und dazu spendabel.

Hier gibt es enorm viel High-End fürs Geld. Zudem hat man sich einen provokanten Slogan ausgedacht: „Mit Linn klingt einfach alles besser.“ Auch dem wollen wir auf den Zahn fühlen. Wir haben das Neueste in unseren Hörraum beordert, den Selekt DSM. Ein Alleskönner in einem Gehäuse.

Linn hat schon oft in dieser Klasse Meriten gewonnen, erinnern wir uns nur an den schmucken Sneaky. Das war vor zehn Jahren ein unfassbar guter Streamer und Amp für kleines Geld. Der Selekt DSM steht in direkter genetischer Nachfolge, kostet aber klar mehr. Bei eBay könnten wir einen Sneaky für unter 1.000 Euro erstehen, doch der Selekt DSM beginnt erst bei 4.760 Euro – ohne Endstufen.

Es klebt ein Bepper auf dem Karton, den wir beachten sollten: „Must be installed by a Linn retailer“. Konnten wir den Sneaky noch selbst auspacken und installieren, so ist diesmal das Wissen eines Fachmanns von Nöten, unbedingt. Es ist im Kaufpreis inbegriffen. 

Kleine Kiste alles an Bord: Linn Selekt DSM Aktiv im Test
Ein Schmuckstück: Auf die Oberfläche des Linn Selekt DSM legen die Schotten einen formschönen Knopf aus geschliffenem Rauchglas, der mit 100 LEDs unterlegt ist. Hier wird die Lautstärke vorgegeben, ebenso lässt sich über Kippbewegungen durch das Menü klicken. Wirklich eine feine Sache.
© Linn

Linn stellt selbst auf

Linn schickte uns einen deutschstämmigen Profi über den Ärmelkanal, einen Meister seines Fachs. Zudem ausgerüstet mit Notebook und iPad. Beides ist für die Erstinstallation des Selekt DSM unabdingbar. Ausgepackt und angeschlossen ist er in Sekunden – doch die Feinabstimmung dauert.

Dafür braucht es die ruhige, wissende Hand. Dazu hat Linn seine Steuersoftware von Grund auf neu konzipiert. In einem ersten Schritt sollte man sich einen Account bei Linn einrichten. Hier werden alle klanglichen Präferenzen und Komponenten gespeichert und mit der persönlichen E-Mail-Adresse verknüpft.

Für kritische Gemüter: Ja, Linn weiß fortan, welche Elektronik bei Ihnen zu Hause steht. Mehr noch: Die Schotten kennen sogar die Ausmaße und die Einrichtung Ihres Wohnzimmers. Wer damit nicht leben kann, braucht keinen Selekt DSM. Im nächsten Schritt folgt der Blick, ob der Selekt mit der neuesten Software läuft. Ist dem nicht so, muss man etwa fünf Minuten warten, kein Drama. Erstdann naht die Kür.

Linn hat eine Software erarbeitet, die böse Raumeinflüsse ausblenden kann. Man sollte sich die Zeit dafür nehmen. Zuerst lässt man den Selekt wissen, welche Lautsprecher an seinen Enden hängen. Dann entwirft man eine Skizze seines Hörraums. Das geht recht umfassend, bis hin zu Detailfragen über die Anordnung der Fenster und die Bodenbeschaffenheit.

Der Datensatz wird anschließend direkt aus dem Programm auf den Server von Linn geschickt. Hier beginnt die Rechenarbeit, die „SpaceOptimization“ – und der Kunde erhält nach wenigen Minuten einen idealen Software-Plug-in zurück, der die Kette im Raum ideal klingen lassen soll. Kann man nutzten, lässt sich aber mit einem Klick auch wieder ausschalten.

Unsere Meinung: Das ist ein spannendes Tool, das gerade High-End-Fans mit kritischen Konstellationen hilft. Da unser Hörraum aber ideal konzipiert und bedämpft wurde, haben wir darauf verzichtet – wir wollten den Linn in natura hören. Hier greift die zweite Software der Schotten – eine App für Android wie Apple, genannt „Kazoo“. 

Alle Welt jubelt über die Bediensoftware von Roon, aber ganz ehrlich: Linn ist der Konkurrenz dicht auf den Fersen. Hier bekommen wir den Inhalt unserer NAS vorbildlich aufgelistet, dazu mit Covern und Hintergründen. Ein Fingerdruck – und die Musik spielt.

Noch dazu hat Linn die beiden Streaming-Platzhirsche Tidal und Qobuz eingebunden. Über allem schweben weitere Web-Optionen, etwa Tune-In – die Lieblingsradiosender erklingen in Sekundenbruchteilen. Ein gewaltiges Angebot. Wer es erlebt, stellt die Frage nicht mehr: Das ist die Zukunft.

Kleine Kiste alles an Bord: Linn Selekt DSM Aktiv im Test
Viel Platz für neue Aufgaben: Ganz unten verstärkt eine doppelte Digital-Endstufe die Ausgangssignale. In der Mitte: die große und vorzügliche Phono-Platine. Zudem ist der Selekt DSM bereits vorbereitet für WLAN-Empfang und Bluetooth-Signale. Einzig eine Freischaltung per Software fehlt noch.
© Josef Bleier

Die Kazoo-App ist überragend

Schön ist ebenfalls, dass sich Linn nicht gegen andere Software abschottet. So lässt sich der Mac auch über Audirvana einbinden. Einfach die UPnP-Suche starten, und Audirvana erkennt den Selekt als Abnehmer. In wenigen Minuten ist damit eine klangstarke Kombination geschaffen.

Ebenso überraschend wie ehrenwert hat Linn seinen Selekt DSM auch für Roon vorbereitet. Doch ganz ehrlich: Die Kazoo-App ist überragend, an ihr gibt es nicht das kleinste Krümelchen auszusetzen – wir sehen Inhalte, Hintergründe, Cover. Jetzt wird es kritisch, denn Linn zeigt alle diese Optionen auf Smartphone und Tablet, aber nicht an der Front des Selekt DSM.

Hier wird auf Farbenspiele verzichtet, es gibt nur ein hochauflösendes, monochromes OLED-Anzeigefeld. Der Nutzer soll auch auf die Entfernung zum Sofa sehen, welcher Track gerade läuft. Als weiteres Steuerelement packt Linn eine Fernbedienung zum Selekt DSM. Wir haben sie nie benutzt, die App ist eleganter, reicher.

Zudem sitzt noch ein Steuerknauf auf der Oberfläche. Hier lässt sich elegant und mehrdimensional durch die Optionen klicken. Nur für das Anfassgefühl: Das ist ein Knopf aus geschliffenem Rauchglas, unterlegt mit 100 LEDs – jeder Juwelier würde damit prahlen.

Knapp davor hat Linn vier Drucktasten eingelassen – hier kann man Presets hinterlegen, sehr praktisch – mein Lieblingsalbum, mein Radiosender, es genügt nur ein Druckknopf. Dazu gibt es noch einen Bewegungssensor – das Display schaltet sich nach wenigen Sekunden aus, um den Musikgenuss nicht zu stören.

Naht der Herrscher der Elektronik, so springt das Anzeigefeld wie von magischer Hand wieder an. Insgesamt ist das eine schlaue, wissende, an der Praxis geschulte Inszenierung.

Hinter den Kulissen

Was zeigt der Blick ins Innere? Hier sieht’s aus wie in einem modernen Baukasten. Direkt hinter der Front liegt das verkapselte Netzteil und nimmt den größten Raum ein. Dahinter sitzt ein Digital/Analog-Wandler, daneben eine Phonostufe. Die ist erstaunlich großformatig ausgefallen und bedient MM- wie MC-Tonabnehmer.

Kein Wunder, ist Linn doch mit seinem LP12 auch Hersteller eines der besten Plattenspieler auf dem Globus. Gleich an dieser Stelle: Natürlich haben wir die Phonostufe ausgiebig getestet – sie ist mehr als eine nette Zugabe, sie ist smart, süffig und hochdynamisch.

Eine der besten Phonostufen, die wir je in einer Komplettlösung gehört haben. Hier lohnt es sich, die besten Laufwerke, die besten Tonabnehmer anzuschließen. Wer in dieser Welt nicht zum Vinyl-Fetischisten wird, der versäumt eine ganze Menge. Ganz links im Gehäuse zeigt sich überraschend viel Platz. Hier hat Linn Raumgelassen für zusteckbare Erweiterungen.

So haben wir beispielsweise unseren Selekt DSM mit einem Endstufenmodul geordert. Ein kompakter Riegel birgt ein Stereokraftwerk mit 100 Watt an 4 Ohm. In dieser Kompaktheit kann das nur eines bedeutet: Hier wird digital verstärkt. Ist das nicht böse? Klingen Digitalverstärker nicht hart und uncharmant? Unfug – das ist ein Scheinwissen, das aus den Anfangstagen stammt.

Mittlerweile staunen wir darüber, wie große Hersteller Potenz mit Geschmeidigkeit kombinieren. Das sind grundehrliche Klangwandler mit einer idealen Kraftausbeute. Nichts wird warm, alle Energie wird in Klang gepusht. Es kommt auf das Wie an. Und hier hat Linn offenbar den Bogen heraus. Wir haben die große Bowers & Wilkins Standbox 802 D3 angeschlossen, unsere Referenz.

Nur für die Vorstellungskraft: Hier stehen 8 Kilogramm (Linn) einem Koloss von 95 Kilogramm pro Stereo-Seite gegenüber. Ein ungleicher Wettkampf, könnte man meinen, doch niemals überkam uns das Gefühl, der Linn würde vielleicht nicht genug Kraft an die Membranen drücken – das war ebenbürtig und ganz großes Klangkino.

Kleine Kiste alles an Bord: Linn Selekt DSM Aktiv im Test
Man achte auf die freien Flächen: Über Streckplätze lässt sich der Selekt DSM umfassend erweitern. Ganz rechts: das Endstufenmodul mit seinen Lautsprecherklemmen. Hinzu kommen soll beispielsweise aber auch ein potenter Kopfhörer-Anschluss.
© Linn

Wer etwas tiefer forscht, entdeckt noch eine Überraschung: Linn hat sich DSD gegenüber geöffnet. Bislang galt der SonyCodec als feindlich und wurde bekämpft. Mit ihrem neuesten Software-Update haben sich die Schotten nun für den Schulterschluss mit den Japanern entschieden.

Was uns selbstredend freut. Nun zum Eingemachten: Wieklingt der Selekt DSM? Zugegeben: Die Erstinstallation ist knifflig und frisst Zeit. Doch abermals: diesen Job sollte der gute Händler übernehmen. Danach geht der Himmel auf. Wir waren erstaunt, wie souverän und farbstark die kleine Einzelkomponente agierte.

Erneut haben wir in die Bibliothek unserer Lieblinge gegriffen: das neue Weiße Album der Beatles, hier als Stream in 24 Bit und 96 Kiloherz. Die CD sieht dagegen alt aus. „Helter Skelter“ wurde von Paul McCartney als lautester Song der Geschichte ausgerufen, Punk ist ein Scherz dagegen.

Im Tonstudio an der Abbey Road muss es extrem laut gewesen sein; noch heute spürt man diese archaische Kraft. Die Membranen zeigen den großen Hub, aus der Mitte schreit uns die Singstimme an, der Bass wogt in brachialen Wellen. Würde die digitale Wandlung kreischen, würden die Endstufen kollabieren – unser Hörraum hätte die Schwächen aufgedeckt.

Doch nichts davon. Das war ultrastabil und schnell im Timing, als hätten wir einen Wunderwandler und zwei Monoblöcke mit 500 Watt angeschlossen. Doch der Linn Selekt DSM kommt effizienter zum Ziel. Auch bei panorama füllender Klassik. Wer je den Auftakt zu Verdis Otello gehört hat, kommt von dieser Kraft nicht los.

Die frühste Stereoaufnahme stammt von Tullio Serafin aus dem Jahre 1960. Alles steht unter Hochenergie, bis zu dem Moment, da der Heldentenor die Bühne erklimmt und seinen Jubelruf vernehmen lässt. Starkstrom und Kanonendonner aus dem späten 19. Jahrhundert.

Hier brechen Verstärker ein, hier kapitulieren Chassis. Doch der Linn beherrschte die Szene grandios. Was für ein Panorama, was für eine Präsenz der Sänger–  hier wird große Oper zum Ereignis, zum Event durch Jahrzehnte hindurch.

Kraft und Feinheiten

Jetzt die kritische Nachricht: 6.250 Euro kostet der Selekt DSM inklusive Endstufen – das tut so mancher Brieftasche weh. Die sich aufdrängende Folgefrage: Würden wir dieses Geld lieber in eine Gesamtkomponente oder in drei, vier Einzelkomponenten investieren?

Die Antwort fällt uns leicht: Nie zuvor haben wir einen solchen Mix aus Kraft und Feinheiten erlebt. Der Linn ist ein Könner, er kann ganze High-End-Türme ersetzen. Zudem ist er ein Stellvertreter der Zukunft: Er spielt in allen analogen und digitalen Medien. Die Präsentation über die haus eigene App ist reich und stabil. Dazu die Kraft der digitalen Endstufen – hier sehnt sich keiner mehr nach Monoblöcken in Röhren- oder Transistorschaltung. Völker, hört die Signale.

Fazit

Alles unter einer Haube? Dabei erfasst die Konservativen die Angst. Klein ist doch ein Manko? Stimmt nicht, ruft uns der neue Linn entgegen. Die Schotten haben hier einen Kosmos vereint, ohne Kompromisse. Alles ist stringent. Man muss seine Prioritäten neu ausloten. Das Konzept ist stark und preislich angemessen. 

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