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Abdeckung, Roaming, Ausbaupläne

Alle Infos zum Netzstart von 1&1

Der 8. Dezember 2023 ist für Mobilfunk-Deutschland ein historischer Tag: Mit 1&1 startet ein vierter Netzbetreiber. Der Aufsteiger aus Montabaur möchte vieles anders machen als Telefónica, Telekom und Vodafone, hinkt aber in vielerlei Hinsicht noch hinter den etablierten Netzbetreibern hinterher. Wir haben alle Infos und alle Hintergründe zum Netzstart von 1&1.

Autor: Andreas Seeger • 8.12.2023 • ca. 6:50 Min

1&1 Gigabit Antenne Montabaur
Eine der neuen 5G-Gigabit-Antennen am Hauptsitz von 1&1 in Montabaur.
© 1&1

Nachdem 1&1 vor einem Jahr sein 5G-Mobilfunknetz an ausgewählten Standorten mit „5G zu Hause“ in Betrieb genommen hat, erfolgt nun die Freischaltung mobiler Dienste. Ab dem 8. Dezember 2023 kann das 1&1 5G-Netz auch mit Smartphones genutzt werden. Dann ist das vierte deutsche Mobilfunkn...

Nachdem 1&1 vor einem Jahr sein 5G-Mobilfunknetz an ausgewählten Standorten mit „5G zu Hause“ in Betrieb genommen hat, erfolgt nun die Freischaltung mobiler Dienste. Ab dem 8. Dezember 2023 kann das 1&1 5G-Netz auch mit Smartphones genutzt werden. Dann ist das vierte deutsche Mobilfunknetz voll funktionsfähig. Noch ist 1&1 aber weit von einer flächendeckenden Mobilfunkversorgung entfernt.

Netzinfrastruktur von 1&1

Denn zum aktuellen Zeitpunkt verfügt 1&1 über folgende Netzinfrastruktur:

  • 2 Core-Rechenzentren
  • 23 Edge-Rechenzentren
  • 81 Far-Edge-Rechenzentren
  • 503 Antennenstandorte

Bis zum Ende des Jahres wird 1&1 nach eigenen Angaben über 1.000 Antennenstandorte verfügen, Ende 2024 sollen es 3.000 Antennenstandorte sein. Hierbei muss allerdings unterschieden werden zwischen Planung und aktivem Betrieb. Denn tatsächlich funken werden zu Ende 2023 lediglich 200 Antennenstandorte. Zum Vergleich: Vodafone betreibt mehr als 26.000 Mobilfunk-Stationen, darunter sind fast 15.000 5G-Stationen. 1&1 hat also noch einen weiten Weg vor sich, um das Ausbauziel einer Abdeckung von 50 Prozent der Haushalte zu erreichen.

1&1 Antennenmast 5G
Kompromisslos auf 5G setzen: Einer der neuen Antennenmasten von 1&1 mit Gigabit-Antennen.
© 1&1

Nationales Roaming ist ein zentrales Element des 1&1-Netzes

Um seinen Mobilfunkkunden trotz dieser Einschränkungen eine flächendeckende Versorgung anbieten zu können, kooperiert 1&1 mit anderen Netzbetreibern, um deren Infrastruktur zu nutzen. Das sogenannte Nationale Roaming läuft bis zum Sommer 2024 im Netz der Telefónica, danach im Netz der Vodafone. Genauer: Der Vertrag mit der Telefónica läuft bis Mitte 2025, technisch möglich ist die Bereitstellung von 5G-Roaming durch Vodafone frühestens ab 1. Juli 2024, spätestens ab 1. Oktober 2024.

Bei beiden Netzbetreibern ist 5G inkludiert – der auf 4G beschränkte Rahmenvertrag mit Telefónica wurde entsprechend erweitert. Die Grundlaufzeit der neuen Vereinbarung mit Vodafone beträgt 5 Jahre, sie kann aber zweimal um jeweils 5 Jahre verlängert werden, inklusive einer Übergangszeit von drei Jahren ergibt sich eine Gesamtlaufzeit von 18 Jahren.

Der große Mobilfunk-Netztest 2024

Auswirkungen auf 1&1-Kunden

Schon seit einigen Jahren liefert 1&1 SIM-Karten aus, auf denen zwei Profile hinterlegt sind: eines für das aktuelle Netzbetreiber-Angebot und eines für das eigene Netz. Die Umschaltung erfolgt „over the air“, die 1&1-Kunden werden automatisch migriert und müssen nichts weiter tun. Wer allerdings eine mehrere Jahre alte SIM-Karte von 1&1 hat, bekommt eine neue SIM-Karte. Die Migration in das eigene Netz organisiert 1&1 in mehreren Wellen, Sie soll aber in relativ kurzer Zeit umgesetzt sein. Wer dort unterwegs ist, wo noch kein 1&1-Netz funkt (und das ist der größte Teil der Kunden), wird automatisch in das Netz der Telefónica eingebucht. Später dann in das Netz der Vodafone.

Auswirkungen auf die Netze von Telefónica und Vodafone

Als 1&1 den Deal mit Vodafone Anfang August 2023 bekannt gab, war das in der Szene ein Paukenschlag. Kaum jemand hatte damit gerechnet, dass die langjährigen Partner Telefónica und 1&1 getrennte Wege gehen würden. Die Netzlast von 12 Millionen Mobilfunknutzern verschiebt sich in den nächsten 12 Monaten von der Telefónica zur Vodafone, was Auswirkungen auf die Netzqualität haben dürfte. Vodafone dürfte gezwungen sein, noch stärker auszubauen, während das Netz der Telefónica entlastet wird.

Allerdings hat der aktuelle connect-Netztest gezeigt, dass nicht mehr die Spitzendurchsätze das Problem sind, sondern die Zuverlässigkeit des Netzes, also die Netzabdeckung (Indoor, Land, Bahn). Wenn Abdeckung da ist, sind die Geschwindigkeiten in allen Netzen hoch. Es scheinen häufig Überkapazitäten vorhanden zu sein, weshalb der Kundenwechsel Vodafone womöglich gar nicht vor Probleme stellt. Das könnte auch ein Grund sein, warum der Finanzmarkt den Roaming-Partner-Wechsel für positiv bei Vodafone (bessere Auslastung) und negativ bei Telefónica (weniger Umsatz) bewertet hat.

Wie sich der Netzwechsel auswirken wird, wird letztendlich aber erst die Praxis zeigen. Der connect Netztest im kommenden Jahr wird daher außerordentlich spannend.

Open RAN als Schlüsseltechnologie

Beim Aufbau seines Netzes setzt 1&1 auf moderne Standards, man könnte auch sagen: mangels Quantität betont man die Qualität und spricht vom „modernsten Mobilfunknetz Europas“. Und in der Tat hat 1&1 den Vorteil, keine Altlasten mitschleppen zu müssen, sondern das Netz von Grund auf neu aufsetzen und dabei kompromisslos die eigene Ausbaustrategie verfolgen zu können. Die lautet: 5G mittels „Open Radio Access Network“, oder in der Kurzform „Open RAN“ .

Während die etablierten Netzbetreiber ihre Netzarchitektur von 4G zu 5G migrieren und dabei unter anderem auf Übergangslösungen wie 5G NSA setzen müssen, versucht 1&1 mit seinem Netz, alle Vorteile von 5G aus dem Stand heraus zu realisieren, an erster Stelle stehen hier: Latenz, Skalierbarkeit, Virtualisierung.

Im 1&1-Netz kommen ausschließlich leistungsfähige Gigabitantennen zum Einsatz, die immer an Glasfaserleitungen angeschlossen sind. Diese leiten die Daten in dezentrale Far-Edge und Edge-Rechenzentren weiter, die zusammen mit den Core-Rechenzentren das Herzstück des 1&1-Netzes bilden: Eine Cloud, die „1&1 O-RAN“, in der sämtliche Netzfunktionen virtualisiert sind und per Software gesteuert werden. Die einzelnen Komponenten, egal ob Hardware oder Software, kommunizieren über standardisierte Schnittstellen. Anders als in herkömmlichen Netzarchitekturen, die als proprietäres Komplettpaket von einem Netzausrüster bereitgestellt werden, ermöglicht Open RAN die Kombination standardisierter Komponenten von unterschiedlichsten Herstellern. Der Netzbetreiber ist nicht von einem Ausrüster abhängig, er kann sich die besten Komponenten zum besten Preis heraussuchen, was Qualitäts- und Kostenvorteile bringen kann.

5G-Ausbau bei 1&1: OpenRAN von Rakuten
5G-Ausbau bei 1&1: OpenRAN von Rakuten
© Rakuten

Open RAN ist eine enorme Herausforderung

Bei seinem 5G Open RAN setzt 1&1 auf das Knowhow der japanischen Firma Rakuten, die ihr eigenes 5G-Netz auf Basis von Open RAN im Jahr 2020 gestartet hat. Doch der Netzstart musste mehrfach verschoben werden und nach dem Start traten viele Probleme auf, unter anderem explodierten die Kosten und es gab Unverträglichkeiten zwischen Smartphones und dem neuen Netzwerk.

Die Probleme von Rakuten haben Open RAN geerdet: Der innovative Ansatz, zu Anfang nicht nur von den Netzbetreibern euphorisch gefeiert, wurde auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Denn nun wurde klar, dass das das Zusammenspiel der Elemente in einem Mobilfunknetz außerordentlich komplex ist. Es wurde klar, dass es einen Grund dafür gibt, dass Ausrüster wie Nokia als Komplettanbieter auftreten, die geschlossene Netzwerkpakete verkaufen.

Dass sich Open RAN durchsetzen wird, daran zweifelt trotzdem kaum jemand. Von einem der drei etablierten Netzbetreiber haben wir gehört, dass man ebenfalls darauf setzen will – aber erst mit 6G. Zum aktuellen Zeitpunkt sei die Technologie zu komplex und störanfällig.

1&1 CEO Ralf Dommermuth ist überzeugt, dass jetzt schon der richtige Zeitpunkt gekommen ist: „Von Anfang an haben wir die Entwicklung der neuartigen Open RAN-Technologie eng verfolgt. Als Rakuten dann vor drei Jahren das erste vollständig virtualisierte Mobilfunknetz in Tokyo, Nagoya und Osaka launchte, waren wir uns sicher: Das ist die Zukunft! Mein Team und ich freuen uns darauf, den eingeschlagenen Weg entschlossen weiterzugehen und mit dem 1&1 O-RAN einen Unterschied im deutschen Mobilfunkmarkt zu machen.“

1&1 CEO Ralph Dommermuth
Der CEO von 1&1 Ralph Dommermuth ist Gründer, Vorstandsvorsitzender und Mehrheitsaktionär der United Internet AG.
© 1&1

1&1 liegt massiv hinter dem Zeitplan

Er geht allerdings kaum auf die Verzögerungen ein, die 1&1 auch in einen Konflikt mit der Bundenetzagentur führen. Deren Frequenzauflagen haben alle Netzbetreiber – auch 1&1 – zur Errichtung von 1.000 5G-Antennenstandorten bis Ende 2022 verpflichtet. Seitdem hat 1&1 auch die eigenen Zielmarken mehrfach verfehlt. Noch im Mai 2023 kündigte Mobilfunk-CEO Michael Martin im Interview mit der connect an: „Bis Ende 2023 planen wir, über circa 1200 Standorte zu verfügen.“ Auch damit dürfte es sehr knapp werden. Seit April 2023 läuft ein Bußgeldverfahren der Bundesnetzagentur gegen 1&1, ein Bußgeld von bis zu 50.000 Euro je Standort steht im Raum - das wären 50 Millionen Euro.

1&1 sieht die Schuld vor allem bei anderen und wirft dem Funkturmbetreiber Vantage Towers vor, den Ausbau zu verzögern. Vantage Towers ist ein wichtiger Partner von 1&1 beim Netzausbau, ein Ende 2021 geschlossener Vertrag sollte 1&1 eigentlich Zugriff auf mehrere Tausend bereits bestehende Funkmasten von Vantage Towers geben, sowie auf weitere noch zu erschließende Antennenstandorte. Doch von den gemeinsam vereinbarten Zielmarken ist man auch Ende 2023 noch weit entfernt. Im Februar 2023 hat 1&1 Beschwerde beim Bundeskartellamt eingereicht, in der Vantage eine "eine anhaltende Behinderung beim Ausbau" vorgeworfen wird. Pikant: Vantage Towers gehört zum Vodafone-Konzern. Daher war man in der Szene auch so überrascht, dass ausgerechnet 1&1 und Vodafone eine Vereinbarung über Nationales Roaming getroffen haben.

Erzwungener Netzstart

Ungeachtet der Verzögerungen steigt 1&1 am 8. Dezember 2023 zum vierten Netzbetreiber in Deutschland auf. Dass man sein Mobilfunknetz einschaltet, obwohl nur 200 Antennenstandorte funken, liegt an Auflagen der Bundesnetzagentur. Die hat Ende 2022 festgelegt (zur Pressemitteilung der Bundesnetzagentur), dass eine Doppelrolle als Diensteanbieter und Netzbetreiber nicht zulässig ist und "der Vertrieb als Diensteanbieter bis Ende des Jahres 2023 einzustellen ist." 1&1 hatte also keine andere Wahl, als den Startschuss für sein Netz noch in diesem Jahr abzufeuern.

Innovationstreiber oder Trittbrettfahrer

Manche Beobachter gehen davon aus, dass mit dem Nationalen Roaming die Anreize für 1&1 fehlen, das eigene Netz über die regulatorischen Auflagen hinaus auszubauen. Auf der anderen Seite bietet sich 1&1 die historische Chance, ein 5G-Netz vom Reißbrett auf die Straße zu bringen und beim Thema Mobilfunk in Deutschland als Innovationstreiber ganz vorne mitzuspielen. Das kommende Jahr wird zeigen, für welchen Weg man sich entscheidet.