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Google ist ersetzbar

Huawei baut seine eigene Plattform

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Huaweis Smartphone-Sparte ist durch das Google-Embargo schwer getroffen. Nach Außen gibt man sich davon aber unbeeindruckt. Die Chinesen gehen ihren Weg und legen gerade das Fundament für eine Welt, in der Google keine Rolle mehr spielt. Sie könnten damit Erfolg haben.

Autor: Andreas Seeger • 6.11.2020 • ca. 4:25 Min

Mehr als nur Smartphones
Screenshot von der deutschen Huawei-Webseite: Das Smartphone als Steuerzentrale der eigenen Plattform.
© Huawei/connect

Ein Android-Smartphone ohne Google und den Play Store ist wie ein Auto ohne Reifen, so die gängige Meinung, wenn man hierzulande Experten und Branchenvertreter fragt. Auf einer Presseveranstaltung versuchte Huawei, diesem Eindruck entgegen zu treten. Das Unternehmen, das sich lange Zeit in Schweige...

Ein Android-Smartphone ohne Google und den Play Store ist wie ein Auto ohne Reifen, so die gängige Meinung, wenn man hierzulande Experten und Branchenvertreter fragt. Auf einer Presseveranstaltung versuchte Huawei, diesem Eindruck entgegen zu treten. Das Unternehmen, das sich lange Zeit in Schweigen darüber hüllte, welche konkreten Auswirkungen das Google-Embargo auf das deutsche Smartphone-Geschäft hat, hat nun erstmals ein paar Zahlen und Fakten genannt. Sie sind außerordentlich interessant.

William Tian, der Deutschland-Chef der Smartphone-Sparte von Huawei, gab sich in seiner Videopräsentation optimistisch. Auf das Gesamtjahr 2020 gerechnet werde Huawei in Deutschland einen Marktanteil von mehr als 13 Prozent halten können. Die Entwicklung im Jahresverlauf thematisierte er allerdings nicht, unklar ist auch, ob Huawei diesen überraschend hohen Anteil über den Verkauf von Altbeständen mit Google oder über die neuen Geräte mit den Huawei Mobile Services (HMS) erreicht.

William Tian
William Tian ist der "Country Head Consumer Business Group Huawei Deutschland", also der Deutschland-Chef der Smartphone-Sparte von Huawei.
© Huawei

Er sagte nur, dass Huawei beim Verkauf von Smartphones mit HMS in den letzten Monaten ein „konstantes Wachstum“ verzeichnet hat. Er stellte dabei das P40 Lite heraus, das sehr gut bei den Kunden ankommen würde. Die Wortwahl „konstant“ klingt nicht gerade nach Verkaufsschlagern. Und wenn Tian das P40 Lite explizit erwähnt, dann bedeutet das im Umkehrschluss auch, dass das Flaggschiff P40 Pro nicht überwältigend performt.

Huawei Pay per NFC kommt erstmal nicht

Gut, dass Tian auch handfeste Zahlen im Gepäck hatte. Huaweis Alternative zum Google Play Store, die AppGallery, habe mittlerweile 37 Millionen aktive Nutzer in Europa, davon 4,6 Millionen in Deutschland. Man habe von den 3500 weltweit meistgenutzten Apps bereits 85 Prozent in der AppGallery versammeln können. Für Deutschland wurde er noch konkreter: Von den Top 500 Apps werden bis zum Ende dieses Jahres mehr als 90 Prozent in der AppGallery zu finden sein. Er verwies auch auf das Thema Banking, das aufgrund der hohen Sicherheitsanforderungen, die die meisten Banken über die Google Play Services realisieren, eine besondere Herausforderung darstellt. Von der DKB gibt es eine QuickApp, auch die Sparkasse und die Ing Diba sind in der AppGallery vertreten, außerdem Meta-Banking-Apps wie Finanzblick.

Beim mobile Payment geht es dagegen nicht so voran wie ursprünglich geplant: Im Mai 2020 kündigte Tian im Gespräch mit connect eine Lösung für HMS-Smartphones in Form des in China erfolgreichen Huawei Pay (mehr als 10 Millionen Nutzer) zum Jahresende an, jetzt heißt es, dass das mobile Bezahlen per QR-Code noch in diesem Jahr kommen wird. Das ist weit entfernt von dem, was Google Pay und Apple Pay per NFC ermöglichen. Wann eine damit vergleichbare Lösung kommt, ließ Tian diesmal offen. Er erklärte lediglich, dass man mit Banken im Gespräch sei und daran arbeite.

1+8+N: Huawei baut seine eigene Plattform

Tian wollte aber nicht nur über Smartphones reden, sondern auch über das Geschäft mit Notebooks, Wearables und Audio-Produkten, das sich in Deutschland sehr gut entwickeln würde. Für die Notebooksparte erwartet er für 2020 ein Wachstum von 300 Prozent, für die Wearables 150 Prozent, für Audioprodukte sogar um 500 Prozent. Es stellt sich natürlich immer die Frage nach den absoluten Zahlen; nach dem Niveau, von dem aus das Wachstum berechnet wird, denn wenn das Verkaufsvolumen von 10 auf 50 Geräte „explodiert“, dann klingt das nur prozentual beeindruckend. Aber ganz unabhängig davon zeigen die Zahlen doch eine starke Dynamik und Präsenz der Chinesen auf dem deutschen Markt, in Bereichen, die man vor ein paar Jahren noch gar nicht mit der Marke Huawei verbunden hat.

Huaweis Strategie 1+8+N
Huaweis Ökosystem auf einen Blick: Das Smartphone im Zentrum einer Vielzahl von Peripheriegeräten und Dienstleistungen, vernetzt über Huawei-Software (HMS, HiLink, AI Life).
© Huawei

Huawei verfolgt weiter seine Strategie „1+8+N“, die bereits Mitte 2019 vorgestellt wurde, also zeitgleich mit (und damit unbeeinflust von) dem Google-Embargo. Dabei fungiert das Smartphone (1) als Steuerzentrale von unterschiedlichen Peripheriegeräten (8). Diese untereinander vernetzte Hardware bildet wiederum die Basis für zahlreiche weitere Dienstleistungen und Geräte von Drittanbietern (N). Aus Sicht des Nutzers steht die Huawei-App „AI Life“ im Zentrum des Geschehens, über die sich alle Geräte einbinden und steuern lassen. Entwickler klinken sich über HMS und HiLink in die Plattform ein. Entscheidend ist: Huawei stellt die Software-Plattform, die alles miteinander verbindet. In naher Zukunft wird hier auch Harmony OS eine wichtige Rolle spielen, ein Betriebssystem, das geräteübergreifend arbeitet und das irgendwann Android auf den Huawei-Smartphones ersetzen könnte.

Huawei gehört zu den Herstellern, die verstanden haben, dass es in der Zukunft nicht mehr reichen wird, eine eigene Software-Plattform mit angebundenen Apps und Diensten zu betreiben. Der nächste Schritt ist es, die Hardware und die Hardware-Schnittstellen zu entwickeln, die eine nahtlose Einbindung beliebiger Gerätekategorien in diese Software-Plattform ermöglichen. Apple verfolgt diesen Ansatz, genauso wie Samsung und Xiaomi. Bei Huawei erstaunt allerdings die Geschwindigkeit der Umsetzung.

Im Moment arbeitet man mit Hochdruck daran, die „+8“-Kategorien zu entwickeln und mit Hardware zu füllen und stellt fast schon im Wochentakt neue Produkte vor. In den letzten Wochen neu hinzugekommen sind mit den FreeBuds Pro und den FreeBuds Studio neue Produkte aus dem Audiobereich. Noch in diesem Jahr wird es die ersten „N“-Produkte von Drittherstellern in Deutschland geben. Angekündigt wurde die Zahnbürste Lebooo, die im November 2020 für 65 Euro in Deutschland in den Handel kommen soll.

Elektrische Zahnbürste von Lebooo
Vernetzt mit dem Smartphone über die HiLink-Plattform und die App AI Life: Die elektrische Zahnbürste von Lebooo kommt noch in diesem Jahr nach Deutschland.
© Hersteller

Neuer Flagship Store in Berlin

Dieses Produkt wird man auch im neuen Flagship Store finden, der noch Ende 2020 in Berlin eröffnet werden soll. Ob das klappt, ist sicher auch davon abhängig, wie sich die Corona-Pandemie in Deutschland weiter entwickelt.

Auch die Marktsituation in Deutschland und Europa bleibt spannend und schwer vorhersehbar. Mit Oppo und Vivo stehen neue Spieler auf dem Platz, Xiaomi prescht gerade mit einem beeindruckenden Tempo voran (laut Canalys ist der Huawei-Konkurrent in Europa um 88 Prozent gewachsen) – für Huawei wird die Situation damit nicht einfacher.

Aber das interessante ist doch, dass Huawei auch ohne Google stark aufgestellt ist und dass Google in den Planungen des Unternehmens kaum noch eine Rolle spielt. Die Chinesen bauen ihre eigene Plattform auf und verfolgen dabei langfristige Ziele. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass sie damit erfolgreich sein werden.

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