Das SIM-Access-Profil
Spitzenempfang, Zugriff aufs Handy-Telefonbuch, keine Strahlung im Auto - SIM-Access-Freisprechanlagen sind genial. Doch die tolle Technik droht zu versauern. connect erklärt die Hintergründe.

Wenn Außendienstler Klaus B. morgens um sieben in seine E-Klasse steigt, ist die Welt für ihn definitiv in Ordnung. Der Vielfahrer führt im Auto täglich Dutzende von Telefonaten, und zwar auf die denkbar bequemste Art und Weise, ohne dass er sein Handy in einen Halter stecken oder gar verkabeln ...
Wenn Außendienstler Klaus B. morgens um sieben in seine E-Klasse steigt, ist die Welt für ihn definitiv in Ordnung. Der Vielfahrer führt im Auto täglich Dutzende von Telefonaten, und zwar auf die denkbar bequemste Art und Weise, ohne dass er sein Handy in einen Halter stecken oder gar verkabeln müsste - denn Klaus B. nutzt die Bluetooth-SIM-Access-Technologie.
Sobald er den Zündschlüssel umgedreht hat, kontaktiert sein Mobiltelefon automatisch per Bluetooth-Funk die Freisprechanlage und übergibt dieser drahtlos seine SIM-Kartendaten. Die Freisprechanlage meldet sich dann mit diesen SIM-Daten praktisch als autonomes Autotelefon im Handynetz an, während das Funkteil des Handys komplett abgeschaltet wird. Ruft jemand an, hebt der Außendienstler über sein Mercedes-Comand-System ab, will er jemanden erreichen, wählt er dessen Nummer ebenfalls über das ab Werk eingebaute System.
Alles in hervorragender Klang- und Empfangsqualität, da die Telefonate über die Auto-Außenantenne laufen - was nicht zuletzt bedeutet, dass der Innenraum strahlungsfrei bleibt. Stellt Herr B. den Motor ab, nimmt das Handy wieder wie gewohnt seinen Dienst auf.
Die perfekte Freisprechlösung
Freisprechen per SIM-Access ist also schlicht genial, der Komfort dieser Lösung unerreicht. Das Problem: Die bahnbrechende Technik spielt am Markt kaum eine Rolle, Leute wie Klaus B. sind eine kleine Minderheit unter den Im-Auto-Telefonierern. Das verwundert, wenn man die noch recht junge Geschichte der Freisprecheinrichtungen bedenkt, denn lange Zeit besaß dieses Thema in etwa den Charme einer Wurzelbehandlung beim Zahnarzt: Zunächst waren Freisprecher ziemlich teuer und mussten kostspielig eingebaut werden - und dann störte der Handyhalter auch noch die Optik im Innenraum.
Wer um die Jahrtausendwende im Auto telefonieren wollte, konnte auf ein solches Kit trotzdem nicht verzichten, es sei denn, er wollte ein Bußgeld riskieren. Und immerhin bekam der Kunde ein gutes Produkt: Halter-Freisprechanlagen der Oberklasse sind technisch und in Sachen Handling nahezu perfekt, sie bieten Sprachsteuerung, Ladefunktion, Topklang und hervorragenden Empfang per Außenantenne.
Bluetooth - ein Meilenstein
Ein Riesenschritt in der Entwicklung der Freisprechanlagen gelang mit dem Kurzstreckenfunk Bluetooth. Wobei Bluetooth nur der Oberbegriff ist - je nach auszuführender Aktion gibt es über zwei Dutzend Bluetooth-Profile. Bei einer Bluetooth-Freisprechanlage kommt meist das Handsfree-Profil (HFP) zum Einsatz. Es übermittelt die Sprache vom und zum Handy und gibt Kommandos wie "Wählen/Auflegen" oder die an der Freisprechanlage eingegebene Nummer ans Telefon weiter. So lässt sich das Handy komfortabel per Freisprecher bedienen.
Die Vorteile der Bluetooth-Kits: Man braucht keinen Handyhalter, was den Einbau-Aufwand erheblich verringert. Folglich ist auch für ein neues Handy kein neuer Halter nötig. Einzige Voraussetzung, damit das neue Telefon mit dem alten Freisprecher kann: Es muss HFP unterstützen. Wenn diese Voraussetzung gegeben ist, funktioniert auch das Telefon der Gattin oder des Nachwuches mit der Freisprechanlage.
Der Blechkäfig stört den Empfang

Damit wäre die Freisprechwelt vollkommen glücklich gewesen, gäbe es nicht doch ein paar Nachteile. So nutzt ein HFP-Freisprecher das Funkteil des Handys - er baut also nicht selbst die Verbindung ins Netz auf, sondern wickelt das Gespräch über das Handy ab. Dieses wiederum liegt im Auto und tut sich schwer damit, durch den Blechkäfig hindurchzufunken.
Daher ist die Verbindung des Handys zum Netz schlechter als im Freien, sodass es bei schwachem Netz seine Sendeleistung bis zum Anschlag hochfahren muss, um die Verbindung zu halten. Das führt zu höherer Strahlungsemission und leert den Akku schneller.
Zwar gibt es optional aktive Handyhalter wie das System 9 von Bury, die Stromanschluss und Antennenabgriff bieten, aber damit macht man die Bluetooth-Vorteile auch wieder zunichte und könnte genauso gut zu einer Freisprechanlage mit Handyhalter greifen.
SIM-Access ist der Königsweg
Die nur fast perfekte HFP-Lösung sorgte schließlich dafür, dass man sich in der Bluetooth-SIG (Bluetooth Special Interest Group) auf einen weiteren Freisprech-Standard verständigte - auf das SIM-Access-Profil (auch SAP- oder rSAP-Profil). Dieses greift - wie der Name andeutet - auf die SIM-Karte im Handy zu, leiht sich deren Daten per Funk, um sich mit einem eigenen GSM-Modul, also einem Mobilfunk-Sende-Empfangsteil, im Netz anzumelden.
Das Handy wird bei Kopplung mit einer SIM-Access-Anlage in eine Art Schlafzustand versetzt und schaltet sein Mobilfunkteil komplett aus. Dieses Prinzip bringt viele Vorteile: Dank Außenantenne und "schlafendem" Handy bleibt das Auto innen praktisch strahlungsfrei, der Handyakku wird bei Telefonaten geschont und die Netzverbindung ist dank Außenantenne stabiler.
Im Gegensatz zum ähnlich komfortablen Autotelefon kommt der SAP-Freisprecher sogar ohne zweite SIM-Karte aus, da er ja die des Handys benutzt. Eine SAP-Freisprechanlage ist sozusagen das Autotelefon per Funk.
Supertechnik ohne Kunden

Aber warum kauft kaum jemand diese Supertechnik? Die Gründe dafür sind vielfältig. Eine wichtige Rolle spielt der Preis: Weil ein SAP-Freisprecher ein eigenes GSM-Modul besitzt und daher recht aufwendig aufgebaut ist, sind SAP-Kits unter 300 Euro praktisch nicht zu bekommen. Außerdem muss das Handy das SAP-Profil unterstützen - und da liegt der Hase im Pfeffer.
Zwar bieten Nokia und die taiwanesische Smartphone-Schmide HTC SAP-Handys und -Smartphones an, Sony Ericsson, Sagem, Panasonic oder Blackberry aber nicht. Auch Samsung und Motorola verweigerten sich SAP bis vor Kurzem; immerhin unerstützen die aktuellen Modelle Samsung SGH-U700 und Motorola Motorokr Z6 das Freisprechprofil. Auf Nachfrage bestätigt Samsung zudem, dass man in Zukunft noch mehr Handys mit SIM-Access-Profil anbieten werde.
Das nächste Samsung-SAP-Handy wird das SGH-F700 sein. Inzwischen nehmen die Hersteller auch an den Kompatibilitätstests mit der Autoindustrie teil. Das könnten erste Anzeichen einer Trendwende sein, doch Stand heute fristet SAP ein Schattendasein bei den meisten Handybauern. Frei nach der Henne-Ei-Problematik ist auf der anderen Seite die Zahl der SAP-Freisprech-anlagen noch sehr überschaubar.
Zwar haben Nokia, Funkwerk Dabendorf, Harman/Becker, Parrot, Siemens, Bury und Lintech welche im Programm, aber kaum ein Hersteller bringt es auf mehr als ein Gerät - eine winzige Auswahl. Auch haben nur sehr wenige Autohersteller ein SAP-Kit als Ab-Werk-Option auf der Ausstattungsliste stehen. Während der Kunde also in die Röhre schaut, schieben sich die Firmen den schwarzen Peter für ihre Zurückhaltung gegenseitig zu: Die Handyhersteller beklagen den Mangel an SAP-Car-Kits, die Car-Kit-Hersteller jammern über die bislang fehlende Unterstützung der Handyfirmen - und die Katze beißt sich in den berühmten Schwanz.
Die geringe Verfügbarkeit trägt zudem dazu bei, dass nur wenige SAP-Kits verkauft werden. Und die mageren Stückzahlen sind wiederum das Argument für den vergleichsweise hohen Preis der Kits - wegen des eigenen GSM-Moduls kosten SAP-Kits rund 100 Euro mehr als vergleichbare HFP-Anlagen.
Tolle Technik, gigantische Pleite?
Das Rumgeeiere erinnert fatal an das Desaster, das das Digitalradio DAB erleben musste. Bei dessen Einführung Mitte der 90er Jahre herrschte allgemeine Euphorie, dem neuen Radio mit glasklarem Empfang in CD-Qualität schien eine glänzende Zukunft beschieden. Doch dann gab's kaum DAB-Geräte zu kaufen, und nach dem Ende der staatlichen Subventionierung machten die Privatsender kaum Anstalten, ihre Programme auf eigene Rechung digital in den Äther zu pusten.
Heute senden die Öffentlich-Rechtlichen und ein paar private Stationen zwar via DAB, allerdings weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit, da immer noch kaum jemand ein DAB-Radio besitzt. Tolle Technik, gigantische Pleite. Droht den brillanten SIM-Access-Freisprechanlagen ein ähnliches Los? Noch ist das traurige Schicksal nicht besiegelt, die Meinungen in der Industrie gehen weit auseinander.

Während der finnische Mobilfunkgigant Nokia voll auf SIM-Access setzt, geht man beim Kommunikationstechnik-Zulieferer Peiker acustic davon aus, dass SAP-Nachrüstung noch zu teuer ist. Der Freisprech-Spezialist Funkwerk Dabendorf wiederum wird an SIM-Access festhalten, auch wenn sein SAP-Freisprecher Audio com nicht gerade der Verkaufschlager ist: "Wir werden auch künftig Produkte anbieten, die SIM-Access unterstützen.
Denkbar sind Geräte für die neue Ego-Linie und für die Audio-Reihe", so Senior Marketing Manager Fabian Schaaf. Der Freisprechanlagenhersteller Parrot hingegen ist beim Thema SIM-Access äußerst skeptisch, Sony Ericsson ebenfalls. Genau wie die Automotive-Sparte von Motorola: Yannick Bourdin, Product Marketing Manager Europe beim US-amerikanischen Handy- und Freisprechanlagenbauer, berichtet, dass ihn deutsche Autohersteller zwar regelmäßig auf SAP ansprächen, Motorola sich aber zurzeit lieber der Verbesserung von HFP-Lösungen widme.
Das Unternehmen wird bei seinen Freisprechern daher aller Voraussicht nach weiterhin nicht im großen Stil auf SAP setzen. Das hat Konsequenzen: Als bald wohl ehemaliger BMW-Zulieferer hat Motorola mit dieser Politik bereits Probleme, da die BMW-Konkurrenten Mercedes und Audi bereits SAP-Lösungen anbieten - und die Bayern jetzt nachziehen wollen. "Die BMW Group hat Lösungen für Kunden, die SAP wünschen, in der Entwicklung", teilt Dr. Richard Rau mit, Leiter Information und Kommunikation bei BMW.
Bei Mercedes ist man da schon weiter: "SIM-Access ist für alle Mercedes-Benz-Fahrzeuge mit Freisprechanlage ab Modelljahr 2004 verfügbar - und rund zehn Prozent unserer Kunden entscheiden sich auch dafür", so Rainer Freitag, Leiter Kommunikationssysteme bei Daimler.
Licht am Ende des Tunnels? Sicher ist, dass das Thema Freisprechen kontinuierlich an Bedeutung gewinnt, auch und vor allem bei denen, die bislang ungeniert mit dem Handy am Ohr telefoniert haben. Spürbare Strafen von 40 Euro und einem Punkt in Flensburg sowie die eigene Erfahrung haarsträubender Situationen beim Freihand-Telefonieren - alles zusammen zeigt auf lange Sicht Wirkung. Allerdings will die deutsche Geiz-ist-geil-Gesellschaft für einen Freisprecher so wenig wie möglich ausgeben.
Blisterverpackte Billiglösungen für wenige Euro gehen daher im Moment am besten, und es wird noch eine ganze Weile dauern, bis sich herumspricht, dass man damit oft minderwertige, wenn nicht sogar unbrauchbare Technik kauft.
Strahlungsangst als SAP-Motor?
Schützenhilfe könnten die SIM-Access-Freisprechanlagen von ganz anderer Seite bekommen - nämlich ausgerechnet von den Strahlungsgegnern der "Die Antenne muss weg"-Bürgerinitiativen. Schließlich ist das Freisprechen via SIM-Access unerreicht strahlungsarm.
An die urdeutsche Strahlungsangst, die laut Rainer Freitag von Daimler beispielsweise in den USA so gut wie unbekannt ist, knüpfen sich daher viele Hoffnungen der SAP-Befürworter: Die Konsumenten könnten die Bereitschaft entwickeln, für eine praktisch strahlungsfreie Freisprechanlage mehr Geld auszugeben als sonst - ähnlich wie für die immer beliebteren Bio-Lebensmittel. Und nicht nur der Trend zu Bio-Produkten bei Aldi, Plus und Lidl zeigt: Wird etwas Hochwertiges nachgefragt, wächst auch das Angebot - und die Preise fallen.
Halterlösung oder SIM-Access?
Die schärfste Konkurrenz für Bluetooth-SIM-Access ist immer noch der klassische Freisprecher mit Handyhalter und Außenantenne. Doch eine Schwäche der Halterlösungen sind die inzwischen selten gewordenen Antennenbuchsen an Handys.
Insbesondere SIM-Access-Vorreiter Nokia verzichtet bei seinen Bluetooth-Handys, wie dem weitverbreiteten 6233, auf eine Antennenbuchse - mit dem Hinweis auf die SAP-Funktion. Problem: Hat das Handy keine entsprechende Buchse, muss die Freisprechanlage die Antenne des in der Halterung klemmenden Handys induktiv abgreifen.
Anders als beim physischen Anschluss wird die Handyantenne dabei nicht deaktiviert und durch einen externen Funkfinger ersetzt, es wird nur die integrierte Antenne per induktiver Kopplung mit einer Außenantenne verbunden. Das Mobiltelefon sendet also weiter im Innenraum, wenn auch immerhin mit einer etwas geringeren Leistung als ohne Antennenabgriff.
Quo vadis, SIM-Access?
Wir halten fest: Die exzellente Freisprech-Variante Bluetooth-SIM-Access scheint sich als Feature in Neuwagen so langsam zu bewähren, im Nachrüstbereich sieht's dagegen immer noch mau aus. Der Kunde ist offenbar auch noch nicht bereit, die aufgerufenen Preise zu zahlen. Die aktuell erhältlichen SAP-Kits für den Nachrüstmarkt verkaufen sich zwar, doch auf niedrigem Niveau.
Aber es gibt Hoffnung: Bei Samsung ist die Trendwende hin zu SAP bereits eingeläutet. Und wenn unter dem Druck der Automobilindustrie auch bei Motorola ein Umdenken einsetzt, müssen Sony Ericsson, Blackberry und Co. wohl oder übel nachziehen. Noch scheint auch der Druck von Kundenseite nicht hoch genug zu sein. Wie sonst kann es sein, dass beispielsweise die Business-Phones von Blackberry SIM-Access nicht unterstützen?
Dabei genügt ein Firmware-Update, um einem Bluetooth-Handy SIM-Access beizubringen. Bleibt enttäuschten Kunden nur eins zu raten: Beschwerde beim Handyhersteller seines Vertrauens einzulegen. Denn wenn Vernunft nichts hilft, helfen vielleicht Appelle - wenn sie zahlreich sind...