Atoll AM300 und Atoll ST300 im Test
Können Leiterbahnen und Platinen schön sein? Ja, Atoll zeigt es uns. Blitzsauberer Aufbau trifft auf ebengleiches Design. Die Franzosen verstehen sich auf Spitzenklang. Hier im Test mit Atoll AM300 und Atoll ST300 als Doppelpack aus Streamer und Endstufe.

Ein Atoll ist laut Wikipedia „ein ringförmiges Riff, in der Regel ein Korallenriff, das eine Lagune umschließt“. Mehr als ein Nichts, weniger als eine echte Insel. Atolle entstehen und verschwinden. Gerade unter der globalen Klimaveränderung eine eher fragwürdige Behausung. Waren die Chefs d...
Ein Atoll ist laut Wikipedia „ein ringförmiges Riff, in der Regel ein Korallenriff, das eine Lagune umschließt“. Mehr als ein Nichts, weniger als eine echte Insel. Atolle entstehen und verschwinden. Gerade unter der globalen Klimaveränderung eine eher fragwürdige Behausung. Waren die Chefs des gleichnamigen Elektronikherstellers so wenig sicher, ob ihre Firma über Wasser bleiben würde? Nein, die Franzosen sind sich in jedem Schritt ihrer Sache sicher. Also eigentlich das Gegenteil von einem Atoll, einer Insel, sondern ein mächtiges Wort auf dem Festland.
Die schönste Kombi haben wir hier in den Hörraum bestellt. Zuerst das Gefühl für die Preise. Die Endstufe AM 300 kostet 2200 Euro, die Vorstufe ST 300 liegt bei 3000 Euro. Huch – die Vorstufe kostet deutlich mehr als der Turbo? Die Lösung ist einfach: Die ST 300 kann nicht nur fein verstärken, das ist zugleich ein mächtiger Streamer, der seine Ankunft schon mit einem tollen, hochauflösenden Display verkündet. Ich stecke beispielsweise meinen USB-Stick mit den High-Res-Daten zu „Let it be“ an – und sofort schauen mich die vier Beatles auf dem Cover an.
Das gelingt erstaunlich smooth. Alle gängigen Formate bis 24 Bit und 192 Kilohertz werden erkannt und in Klang verwandelt. Toll auch ein praktisches Feature: Der USB-Eingang liefert bis zu ein Ampere. Selbst große und kritische USB-Festplatten werden hier in die Rotation getrieben. Die DSD-Fans hingegen werden ausgegrenzt? Nein, stimmt nicht, auch diese Sprache versteht der ST300 bis DSD128. Dazu noch ein Aufgebot an Streaming-Partnern.
Spotify und Deezer sind selbstverständlich, im Karpfenteich des High-Res wird noch bei Tidal und Qobuz gewildert. Auch die großartige Steuersoftware von Roon ist mittlerweile integriert. Herz – was willst du mehr? Der höhere Kaufpreis geht mehr als in Ordnung. Und wer jetzt immer noch nicht überzeugt ist: Über das Angebot von airable können über 100.000 Radiostation abgerufen werden.
Feinheit und Kraft
Jetzt werden die Kritiker einwenden: Das können wir bei anderen Streamern auch einkaufen. Aber die analoge Signalverarbeitung dahinter ist ohne Vergleich. Denn an den Ausgängen liegt die Feinheit und Kraft einer echten Class-A-Kopplung an. Hier trifft also technisch analysiert ein Doppel aus BurrBrown PCM1792-Chips auf eine Class-A Ausgangsstufe, die es so nur bei Atoll gibt. Lecker.

Natürlich geht es per Cinch wie XLR zu der Endstufe. Kann diese mithalten? Eine dumme rhetorische Frage. Natürlich liegt die AM 300 auf gleichem, wenn nicht sogar höherem Niveau. Doppelte 280 Watt an vier Ohm stehen hier bereit. Ein Fehlkauf ist praktisch ausgeschlossen. Denn wir können das gute Stück auch zu einem Mono-Block schalten, dann hätten wir 500 Watt an den Klemmen. Kein Mensch braucht mehr.
Ein Zauber erfasst uns, wenn wir die Deckelplatte abheben und in die AM 300 hineinschauen. Eigentlich müsste diese Endstufe mit einer Glasplatte an die Wand gehängt werden. Denn die Schaltung ist ein Kunstwerk. Doppeltes Mono verstehen die Franzosen hier als Auftrag – so gibt es gleich zwei massige Ringkerntransformatoren.

Die Eingangsstufe wird diskret ausgelegt, abermals in Class-A. Dahinter springt ein Parcours an MosFET-Stufen an. Wir wollen nachzählen – das sind sechs Kraftwerke pro Kanal. Natürlich an die Seite gelegt, belüftet und mit großen, individuellen Kühlkörpern bedacht. Die Kraft wird an massive Lautsprecherterminals von Mundorf geflutet. Trotz allen Aufwands bleibt die gesamte Bauform kompakt.
Das passt in jedes gute HiFi-Rack. Wie überhaupt die Bizeps-Show Atoll fremd ist. Hier geht es um den perfekten Mix von feinen wie kraftvollen Signalen. Schon rein äußerlich sind wir in den Fängen der Franzosen. Da freuen wir uns schon vor: Wenn jetzt noch der Klangeindruck auf gleicher Höhe liegt... Die Dramaturgie sei aufgelöst: Das ist eine Superkombi. Perfekt der Mix aus Tempo und irrwitziger Kraft.

Hier fliegt kein audiophiler Wert unter dem Radar. Natürlich haben wir wieder einmal das neue Mastering der Beatles von „Let it be“ auf dem Stick, auf der Festplatte, im Stream. Warum wir diese Tracks so lieben? Weil es eben die Beatles sind – dazu naturbelassen und wunderbar roh. Wer die tolle Dokumentation von Peter Jackson auf Disney+ gesehen hat, der hört die Bänder mit anderen Ohren. Genial, was sich da im Ton- und Filmstudio in nur zwei Wochen geformt hat. Den bislang vernachlässigten Instrumenten kommt eine ganz neue Rolle zu.
So dem Bass von Paul McCartney oder den Drums von Ringo Starr. Der Drive liegt plötzlich in der Tiefe. Genau diese Qualität erkennen die beiden Atolls. Der Himmel reißt auf, alles ist hell und transparent. Dann schlägt die mächtige Endstufe ein Beil in den Klang. Kraft überall, nahezu archaisch. Wir haben das ganz große Gedeck unserer Referenzlautsprecher angeschlossen – nie ging die AM 300 in die Knie, nie konnten wir am ST 300 eine Härte erlauschen. Das ganz große Erlebnis, ohne Verluste. Als würden wir direkt im Studio der Beatles sitzen.

Die ganz große Sinfonie
Wie halten es die Franzosen mit Klassik? Wieder bedienen wir uns im Sortiment der High-Res-Aufnahmen. Sir Georg Solti dirigiert die 8. Sinfonie von Gustav Mahler. Wer sie nicht kennt: Das ist nominell die Sinfonie „der Tausend“. Mehrere Chöre treffen auf Solisten und das größte jemals zusammengewürfelte Orchester. Eigentlich passen dann nur wenige Zuhörer in den Saal, so ufert das Event aus. Ein Spektakel? Sicherlich. Ehrliche Musik? Auch. Aber schwer einzufangen. Die Tontechniker der Decca haben es in den 70er-Jahren versucht – und es ist gelungen.
Eine dynamische Orgie. Da brechen die Wandler ein, da erleiden die Verstärker einen Kollaps. Doch das Atoll-Duo hält stand. Sogar der Einsatz der großen Orgel klingt unangestrengt. Wunderbar die Abbildung, dazu dieses beruhigende Gefühl von unbegrenzter Kraft. Da verschiebt sich unsere Wahrnehmung. Täuschen wir uns, oder liegt unter allem eine edle Wärme? Das ist natürlich Absicht. Im Gegensatz zu den üblichen stromgesteuerten bipolaren Transistoren werden hier Mos-FETs über die Spannung gesteuert – wie es auch bei Röhren der Fall ist.
Also tatsächlich: Atoll schäkert hier mit dem Klangideal eines Röhrenverstärkers. Nach dem Schlussakkord von Mahlers Achter beginnen wir zu keuchen. Jetzt braucht es etwas Leichtes. Wieder mal ein Klangtipp: Der Trompeter Till Brönner und der Kontrabassist Dieter Ilg haben ein starkes Album namens „Nightfall“ aufgenommen. Man hört es am besten als Vinyl, ohne Show, ehrlich und kantig bis zum audiophilen Knäckebrot. Auf dem Höhepunkt wagen sich beide an ein Heiligtum – „Eleanor Rigby“.
Fazit
Die beiden Atolls haben schon mit den ersten Takten den Raum im Griff. Das ist nicht einfach. Denn hier gibt es einen feinen Nachhall und einen starken Push des Basses. Sofort ist uns klar: Hier wird uns nichts verheimlicht, wir bekommen alle Wahrheiten serviert. Ein gutes Gefühl. In den besten Momenten passen wir unsere Atmung den Phrasen der Musiker an. Und immer wieder diese erstaunliche Selbstsicherheit der Elektronik. Da gibt es Samt und einen gewaltigen Sättigungsgrad an Informationen.