Kurt Weill - Sinfonien Nr. 1 und 2, Die sieben Todsünden...
Kurt Weill - Sinfonien Nr. 1 und 2, Die sieben Todsünden
Als neue Chefin des Berliner Konzerthausorchesters startet Joana Mallwitz furios und auf nicht allzu ausgelatschten Pfaden. Den als Songlieferanten Brechts geschätzten, als Sinfoniker unterschätzten Kurt Weill porträtiert sie in beiderlei Gestalt. Wobei auch das „Todsünden“-Ballett hier entschieden sinfonisch – und orchestral herausragend – klingt. Wenn wiederum in der zweiten Sinfonie die schönen Trompeten blasen, weiß man, woher Weills Songs stammen: von Mahler. Knackig, explosiv und manisch-panisch nimmt Mallwitz den Klassizismus dieses Werks aus dem Horrorjahr 1933. Grell geschärft die Erste von 1921, große Ekstase mit kammermusikalischen Intarsien, wunderbar poliert.
Rezension von: Martin Mezger
© Deutsche Grammophon/Universal
Ähnlich:
Kurt Weill - Sinfonie Nr. 2, Schostakowitsch: Sinfonie Nr. 5, Rotterdam PO, Lahav Shani
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Musik | 4,5 von 5 |
Klang | 5 von 5 |
Heidelberger Sinfoniker - Johannes Klumpp -Haydn Symphonies
Es ist das Ende einer langen musikalischen Reise: Die historisch orientierten Heidelberger Sinfoniker legen zu ihrem 30. Geburtstag die Aufnahme der letzten elf der 107 Sinfonien von Joseph Haydn vor. Diese bereits im Jahr 1999 mit Thomas Frey begonnene und jetzt unter
der Leitung von Johannes Klumpp abgeschlossene Gesamteinspielung ist eine nicht hoch genug einzuschätzende Leistung – nicht nur in quantitativer, sondern vor allem auch in qualitativer Hinsicht. Nur selten hat man diese Sinfonien so frisch, so differenziert, so dynamisch gehört wie hier. Zugleich arbeiten die Heidelberger heraus, was die Musik des Wiener-Klassik-Komponisten Haydn auszeichnet: Tänzerischer Schwung, überraschende Einfälle, kunstvolle Naivität, Gegensätze auf kleinstem Raum – und ganz viel Augenzwinkern. Den Heidelberger Sinfonikern gelingt dies, weil sie technisch perfekt und mit einer unbändigen Spielfreude musizieren. Das wunderbar detailreiche Klangbild steht dem in nichts nach. Dies ist die neue Referenzaufnahme für Haydns sinfonisches Gesamtwerk.
Rezension von: Andreas Fritz
© Hänssler Classic
Heidelberger Sinfoniker - Johannes Klumpp -Haydn Symphonies
Vollbild an/aus
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Musik | 5 von 5 |
Klang | 5 von 5 |
Antoine Brumel - Earthquake Mass
Es ist nicht leicht, sich im Feld der Schumann-Experten von Argerich bis Kissin durchzusetzen. Der niederländische Pianist Nicolas van Poucke, 31, versucht es dennoch. Auf seinem zweiten Schumann-Album besticht er erneut mit feinster Klangkultur und verblüffender Technik. Gefühlsduselei zwecks Showeffekt ist ihm fremd. Lieber Notentext pur, aber wie! Den siebenten Satz der Kreisleriana lässt van Poucke stürmisch-fiebrig vorüberbrausen, den vorletzten Davisbündlertanz verzaubert er zu einem traumverlorenen Tastengesang. Der Pianist taucht ganz tief ein in die Schumann-Fantastik und findet Tonfälle von innig über bizarr bis übermütig. Exquisit ist hier auch das Klangbild: hochtransparent und warmtönig. Große Klasse.
Rezension von: Otto Paul Burkhardt
© Glossa/Note 1
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Musik | 5 von 5 |
Klang | 5 von 5 |
European Guitar Quartet - Fourtune
Aus zwei Duos wurden vor gut einer Dekade ein Quartett. Und was für eins! Die Musiker fanden im Ausklang eines Festivals zueinander und feiern seither bejubelte Auftritte wie im Concertgebouw Amsterdam, der Kaufmann Concert Hall in New York oder auf Festivals. Dieses erst zweite Album glänzt mit geballter Spielfreude, virtuosem Fingerpicking und subtilen klassischen Gitarrenklängen, genährt durch finessenreiche Kompositionen und Covers von Harry Belafonte oder Frank Zappa. Und so betören beseelte Klänge wie „Porthos“ oder das gediegene „Choral De Uma Nota“, die Saitensprünge bei Zappas „Father O’Blivion“ füllen den Raum. Zoran Dukic, Pavel Steidl, Thomas Fellow und Reentko Dirks geben ihr Können als Lehrer und Professoren an jüngere Generationen weiter. Der Klang ist exzellent mit feiner Auflösung, subtiler Feindynamik und schönen Farben.
Rezension von: Claus Dick
© Doctor Heart Music/In-Akustik
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Musik | 4,5 von 5 |
Klang | 5 von 5 |
Karlheinz Stockhausen - Mantra
Man steigt 13 Mal in denselben Fluss, und doch ist er immer anders. Ein Hörerlebnisbericht wäre dies zu Stockhausens „Mantra“, das 70 Klavierduo-Minuten 13-fach aus den 13 Tönen einer Repetitionsformel und deren Parametern entwickelt – nicht als minimale Musik, sondern als maximale Materialexpansion. Andreas Grau und Götz Schumacher sind die „Mantra“-Meister unter den Vierhändern. Ihre Neuaufnahme klingt noch souveräner als ihre erste Einspielung von 1993. Nun zählt ein abgeklärtes Erkunden der spielerischen Sinnlichkeit, ja des Wohlklangs dieser Reihenkomposition. Und die Live-Elektronik macht noch 54 Jahre nach der Werk-Entstehung das Fortschreiten ins Unerhörte zum Hörabenteuer.
Rezension von: Martin Mezger
© Neos/Harmonia Mundi
Ähnlich:
Kosmos - Werke von Stockhausen, Crumb, Kurtág u.a. Grau/Schumacher
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Musik | 5 von 5 |
Klang | 5 von 5 |
Orazio Vecchi - Le Veglie Di Siena
„Jo, jo, jo“, den Weinkeller wird er gleich leer saufen, rumpelt der Deutsche in hartem Teutonen-Italienisch. Dem Rebensaft folgen indes die Körpersäfte in Orazio Vecchis „Nachtwachen von Siena“, einer der originellsten Madrigalsammlungen. Erst die Komik parodierter Dialekte und Idiome, dann trübt sich die gute Laune, und einer klingenden Humoralpathologie gehört der zweite Werkteil: Das Madrigallaboratorium mischt musikalischen Ausdruck wie der Körper seine Säfte zu wohl- oder übeltemperierten Gemütsstimmungen. Bei der Compagnia del Madrigale ist diese Art von fröhlicher Wissenschaft in besten Kehlen: technisch und stilistisch perfekt, unklamaukig und von feiner Commedia-Eleganz.
Rezension von: Martin Mezger
© Glossa/Note 1
Ähnlich:
Orazio Vecchi - Requiem, Graindelavoix, Schmelzer
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Musik | |
Klang | 5 von 5 |
Saskia Giorgini - Debussy Images
Die Balance von Leichtigkeit, Präzision und Fantasie – darin liegt die geheime Alchemie von Claude Debussys Klaviermusik. Die üblicherweise umschreibenden Worte wie „Poesie“ oder „Atmosphäre“ setzen aber nur Metaphern an die Stelle anderer Metaphern. Bei Saskia Giorgini indes hat jene Alchemie eine klare Formel: den kinetischen Impuls, der entstehungszeitlich die Nähe zum Kino (nicht zur Filmmusik!) bezeugt. Mit sehnigem Elan realisiert die Pianistin Debussys bewegte (Klang-)Bilder vom Rhythmus her, der Harmonik und Farbe quasi initiiert. Straffe Kontur und superbe Klarheit schließen agogische Elastizität und Klangkontraste von Secco bis Sfumato nicht aus, sondern erleuchten sie. Das Ergebnis: ekstatisch.
Rezension von: Martin Mezger
© Pentatone/Naxos
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Musik | 5 von 5 |
Klang | 5 von 5 |
Franz Schubert - Die schöne Müllerin
Liebesglück ist Künstlerpech. Inspiration braucht Kompensation, und dafür will gelitten sein. Schuberts „Müllerin“-Zyklus weiß das. Julian Prégardiens Geselle mit seinem hohen, hellen Tenor weiß es auch: kein Romantiker, sondern ein postmodern-narzisstischer Performer, den die eigene Untergangsinszenierung mehr interessiert als die Liebe. Nervöse Wechsel von Stimmklang und -farbe triggern Gesänge eines Getriebenen, unterstrichen von Verzierungen und Varianten in den Wiederholungen. Anfechtbares, Ausgemergeltes wechselt mit nie Gehörtem: ausbrechende Verzweiflung, bezwingende Steigerungen, Todessog. Eine „Müllerin“ für Fortgeschrittene, mit Kristian Bezuidenhout als Regisseur am Fortepiano.
Rezension von: Martin Mezger
© Harmonia Mundi
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Musik | 4 von 5 |
Klang | 5 von 5 |
Bruckner - Sinfonie Nr. 5 B-Dur
In seiner ruhmreichen Bruckner-Serie ist Markus Poschner beim Schlüsselwerk der Verzahnung von sinfonischem Makro- und kontrapunktischem Mikrokosmos angelangt. Wie er solch maximal minuziöser Logik folgt, ist von höchster Stringenz; was dank organisch wirkender Transparenz kein kühles Leuchten der Strukturen bedeutet, sondern deren Reflexion im gegenseitigen Durchdringen von Ausdruck und Klarheit. Kurz: Bruckner weder als Grummelmonster noch als Grobian, sondern als Konstrukteur luzider Klangräume. Und als Feinmotoriker: Das Allegro hat Zug, das Kopfsatz-Gesangsthema agogische Expressivität. Die Kanten aber werden keineswegs glattgeschmirgelt. Eine Schlüsselaufnahme eines Schlüsselwerks.
Rezension von: Martin Mezger
© Capriccio/Naxos
Ähnlich:
- Bruckner - Sinfonie Nr. 4, ORF RSO, Poschner
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Musik | 5 von 5 |
Klang | 5 von 5 |
George Jeffreys: Lost Majesty - Sacred Songs and Anthems
Individuelles Stimmrecht will sich oft nicht der kollektiven Eintracht fügen. Die Vokalistentruppe Solomon’s Knot ist indes eine musikalische Demokratie-Utopie: nahezu perfekte Homogenität im Einklang mit subjektiver Expression. Ideale Voraussetzungen für die Wiederentdeckung des Komponisten, der nach Byrd und Dowland der englischen Musik das barocke Update besorgte: George Jeffreys hat Concertato und Concitato eines Monteverdi samt Konsorten nicht nur importiert, sondern eigensinnig überformt: teils Purcell vorausahnend, teils die Expressivität kühn überbietend. Kaum zu glauben, dass ihn die Musikhistorie mit totaler Amnesie strafte. Hier kommt nun seine glanzvolle Amnestie.
Rezension von: Martin Mezger
© Prospero/Note 1
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Musik | 5 von 5 |
Klang | 5 von 5 |
Ryuichi Sakamoto - Opus
Die erste posthume Veröffentlichung des japanischen Weltstars Ryuichi Sakamoto ist ein Konzert, das er im Herbst 2022 in seinem Studio in Tokio gegeben hat – ohne Publikum und im Wissen, dass es sein letztes sein würde. Das ehemalige Mastermind des Yellow Magic Orchestra hatte den Kampf gegen den Krebs verloren. Sein musikalisches Testament ist eine Werkschau mit 20 Stücken aus seinem riesigen Katalog, darunter die Titelmelodien zu „The Last Emporer“, „Little Buddha“ oder „Merry Christmas Mr. Lawrence“, der YMO-Klassiker „Tong Poo“ und eine Hommage an Filmemacher Bernardo Bertolucci – eingespielt alleine am Klavier, mit hörbar schwerem Atem. Der Neuzugang „20180219“ ist ein Outtake seines letzten Albums „12“. Eine bewegende Aufnahme.
Rezension von: Marcel Anders
© Milan/Sony Classical
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Musik | 4 von 5 |
Klang | 5 von 5 |