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Interview Michael Martin, CEO 1&1

"Wenn es in Deutschland echten Wettbewerb geben soll, dann brauchen wir gleiche Regeln für alle"

Wie weit ist 1&1 mit dem eigenen Netz? CEO Michael Martin über die Chancen und Herausforderungen, vor denen der vierte deutsche Netzbetreiber steht.

Autor: Josefine Milosevic • 27.6.2025 • ca. 7:00 Min

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Michael Martin, Vorstandsmitglied bei 1&1 Telecommunication SE
© 1und1

Mit dem Kauf eigener Mobilfunkfrequenzen und dem Aufbau eines eigenen Mobilfunknetzes hat 1&1 den deutschen Mobilfunkmarkt aufgemischt: Seit dem Start im Dezember 2023 betreibt der vierte deutsche Netzbetreiber das erste vollständig virtualisierte 5G-Mobilfunknetz Europas auf Basis der innovati...

Mit dem Kauf eigener Mobilfunkfrequenzen und dem Aufbau eines eigenen Mobilfunknetzes hat 1&1 den deutschen Mobilfunkmarkt aufgemischt: Seit dem Start im Dezember 2023 betreibt der vierte deutsche Netzbetreiber das erste vollständig virtualisierte 5G-Mobilfunknetz Europas auf Basis der innovativen Open-RAN-Technologie. Parallel dazu wird seit 2024 die Kundschaft sukzessive von den Partnernetzen - früher Telefónica, heute Vodafone - in das neue, cloud-basierte 1&1 5G-Netz migriert.

Ein Meilenstein, der neue Maßstäbe in Sachen Flexibilität und Unabhängigkeit setzt? Darüber haben wir mit dem 1&1-Vorstand Michael Martin gesprochen.

Herr Martin, Sie sind 2023 mit dem Ausbau des eigenen 5G-Mobilfunknetzes gestartet. Längere Zeit stagnierte der Netzausbau, mittlerweile ist 1&1 schneller dabei, Antennenstandorte freizuschalten. Ende März haben Sie 1000 aktive Basisstationen vermeldet. Wo stehen Sie heute?

Vorab etwas Kontext, um den Stand des Netzausbaus zu bewerten: Das 1&1 O-RAN ist eine Pionierleistung. Zum einen sind wir der erste Mobilfunknetzbetreiber seit über 30 Jahren, der in Deutschland wieder ein Netz von Grund auf neu errichtet – das ist ein historischer Schritt für den deutschen Telekommunikationsmarkt. Zum anderen setzen wir als erster Betreiber in Europa konsequent auf die neuartige Open-RAN-Technologie. Das erlaubt uns, ein hochmodernes, softwarebasiertes Netz zu betreiben und weiterzuentwickeln, das besonders flexibel, effizient und zukunftssicher ist.

Natürlich war der Weg dorthin nicht frei von Herausforderungen – insbesondere bei der Bereitstellung von Antennenstandorten. Das lag vor allem an unserem bei weitem größten Ausbaupartner, der zu Vodafone gehörenden Vantage Towers. Vertraglich vereinbarte Termine zur Lieferung von bis zu 5.000 Antennenstandorten wurden nicht eingehalten. Das Kartellamt ermittelt in der Sache. Wir haben uns dann auf andere Ausbaupartner fokussiert und mittlerweile deutlich an Tempo zugelegt. Im März 2025 waren über 1.000 Standorte aktiv.

Parallel zum Netzausbau sind Sie seit 2023 dabei, über 12 Millionen Kunden ins eigene Netz zu migrieren. Seit Sommer 2024 steht Ihnen in den Gebieten ohne eigene Netzversorgung Vodafone als Partner zur Seite, zuvor haben Sie lange Jahre das Telefónica-Netz genutzt. Laut Plan sollen bis Herbst 2025 alle Bestandskunden ins eigene Netz integriert werden. Läuft hier alles nach Plan?

Kurz gesagt, ja! Besonders erfreulich ist, dass mittlerweile über 10 Millionen Nutzer in unserem eigenen Netz unterwegs sind – ein klarer Beleg dafür, dass sich unsere Open-RAN-Technologie im Live-Betrieb bewährt. Wir sind also auf einem sehr guten Weg, unser bis zum Jahresende gestecktes Ziel zu erreichen: ein leistungsfähiges, unabhängiges und zukunftsorientiertes Mobilfunknetz für 12 Millionen und mehr Kunden. Damit schließen wir gleichzeitig die größte Kundenmigration der deutschen Mobilfunkgeschichte ab.

Die Migration erfolgt dabei meist over the air (OTA) durch Aktivierung von Dual-SIM-Profilen, unmerklich für den Kunden. Die Umstellung selbst erfolgt nachts und nur, wenn der Kunde inaktiv ist, um jedwede Unterbrechungen zu vermeiden. Das funktioniert mit unserem automatisierten Verfahren sehr gut. Die Migration von Millionen Kunden verläuft erfolgreich, das ist essenziell für die Kundenzufriedenheit und wird von unseren Teams gut gemeistert.

Wie haben Sie nach dem Netzausfall im Mai 2024 die Verzögerungen aufgeholt und was haben Sie daraus gelernt?

Nach dem Ausfall wurde die Kundenmigration für etwa sechs Monate verlangsamt, um Kapazitäten und Redundanzen nochmals zu überprüfen. Heute profitieren unsere Kunden von einem modernen und innovativen Netz, das nicht nur robust, sondern auch zukunftssicher aufgestellt ist. Seit Oktober 2024 läuft die Migration wieder mit voller Geschwindigkeit, das heißt wir ziehen bis zu 50.000 Kunden pro Tag bzw. ca. 200.000 Kunden pro Woche um.

Sie setzen beim Ausbau der Netzinfrastruktur auf die Open-RAN-Technologie (Open Radio Access Network). Die cloud- und softwarebasierte Technik ermöglicht Ihnen, Komponenten verschiedener Hardware- und Software-Hersteller ins Netz zu implementieren. Das sorgt für höhere Flexibilität, Kosteneffizienz und hohe Leistungskapazität. Sie sind der erste Netzbetreiber in Europa, der ein komplett virtuelles Netz betreibt. Wie schnell wird sich die innovative Technik durchsetzen?

Das Interesse ist groß, besonders von ausländischen Betreibern, die wissen wollen, wie wir als Open-RAN-Pionier vorgehen. In Deutschland halten sich direkte Konkurrenten eher zurück. Es gibt viele Anfragen, aber wir als Unternehmen werben nicht aktiv für die Open-RAN-Technologie, für uns ist es zunächst wichtig, Bestleistungen für unsere Kunden zu erbringen.

Aber Open RAN ist aktueller denn je. Denn das Thema „digitale Souveränität“ hat in den letzten Monaten im Zuge der US-Wahlen an Fahrt aufgenommen, da es auf europäischer Ebene, sowie bei der Bundesregierung viele Impulse gibt, wie Europa und auch Deutschland bei kritischen Technologien souveräner aufgestellt werden können. Mobilfunknetze sind in diesem Zusammenhang als kritische Infrastruktur im Fokus. Vor allem stellt sich die Frage, wie man verhindern kann, dass es zu einem sogenannten Vendor-Lock-In kommt, man also an einen Anbieter alternativlos gebunden ist.

Mit Open RAN haben wir hier gut vorgesorgt: Die standardbasierte Technik bietet eine deutlich höhere Flexibilität. So lassen sich einzelne Module und Elemente ­– egal ob Hard- oder Software ­– einfach austauschen. Unser Netz ist kein von einem Ausrüster schlüsselfertiges Mobilfunknetzwerk, sondern modular aufgebaut. Die Unabhängigkeit in puncto Netzinfrastruktur ist immens wichtig, wie ein Blick auf die Weltlage zeigt. Mit Ericsson und Nokia haben wir derzeit zwar zwei europäische Champions, doch reicht das für immer? Wäre es nicht besser, einer Vielzahl von Anbietern den Zugang zum Markt zu öffnen?

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So funktioniert die Open-RAN-Technologie im Vergleich zur bisherigen Netztechnik.
© 1und1

Wie läuft die Standardisierung der Software bei Open RAN, wenn so viele verschiedene Anbieter beteiligt sind? Gibt es Risiken hinsichtlich der Interoperabilität und wer überwacht das?

Im Gegensatz zur herkömmlichen RAN-Architektur, bei der an jedem Antennenstandort eine eigene Recheneinheit mit CPU und oftmals zugehöriger Klimaanlage installiert ist, verfolgen wir einen Cloud-nativen Ansatz mit rund 279 sogenannten Far Edge-Rechenzentren, die auf ca. 500 wachsen werden. Mit diesen Rechenzentren lassen sich jeweils bis zu 40 Antennenstandorte bedienen, ohne dafür 40 Rechner vor Ort aufzubauen. Es gibt keine Klimaanlagen und weniger zu wartende Komponenten bei den Antennenstandorten, da alles in den Rechenzentren integriert ist.

Ein etwas vereinfachtes Beispiel: Unsere Mobilfunk-Kunden bewegen sich an dem Antennenstandort tagsüber im Büro und abends gehen sie vielleicht noch in das nahegelegene Fußballstadion – wenn es nach mir ginge: vorzugsweise zur Fortuna Düsseldorf. Ein traditioneller Anbieter würde hier Antennen mit Server für die Kapazität im Büro aufbauen und das Ganze noch einmal für das Stadion. Doch die Kunden sind im Normalfall nicht gleichzeitig im Büro und im Stadion. Das heißt: Bei uns wandern die Rechnerressourcen von Antenne zu Antenne mit. Unterm Strich sind dadurch Energieeinsparungen von 10 bis 30 Prozent möglich. Eine TÜV-Studie belegt diese Einsparungspotenziale. Und wir sehen noch weiteres Potenzial für die Zukunft!

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Blick in ein Far-Edge-Rechenzentrum.
© 1und1

Das heißt, auf längere Sicht ist die Open-RAN-Architektur kostensparend?

Genau. Durch die offene und effiziente Architektur von Open RAN wollen wir langfristig erhebliche Kosten einsparen. Einerseits, weil wir unsere Netzkomponenten zentralisiert und virtualisiert betreiben – das reduziert Hardware- und Betriebskosten. Andererseits sind wir nicht an einen einzelnen Ausrüster gebunden. Wir können jederzeit verschiedene Anbieter miteinander vergleichen und bei Bedarf wechseln. Das erhöht den Wettbewerb und senkt die Preise.

Wie sieht es mit den Sicherheitsbedenken bei Open RAN aus, insbesondere im Vergleich zu etablierten Netzbetreibern und im Hinblick auf die offenen Schnittstellen?

Es ist genau anders als man erst vermuten würde. Bei etablierten Netzbetreibern ist oft nicht transparent, was in den Systemen passiert. Dies zeigt auch die laufende Diskussion rund um Anbieter aus China. Bei Open RAN sind die Schnittstellen hingegen offen, was eine bessere Überwachung und Absicherung ermöglicht. Dabei ist wichtig zu verstehen: Offen meint aus Sicht des Betreibers, nicht aus Sicht von Kunden oder gar Hackern. Das BSI (Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik) ist seit 2019 involviert und alle Vorgaben werden umgesetzt. Unser Netz wurde ab 2022 gebaut und entspricht aktuellen Sicherheitsstandards. Open RAN ist nicht weniger sicher, sondern aufgrund der Transparenz sogar sicherer als herkömmliche Blackbox-Lösungen.

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Eines der Core-Rechenzentren, mit denen 1&1 sein Open-RAN-Netz betreibt. Die Technologie erlaubt es, Komponenten von unterschiedlichen Herstellern zu nutzen.
© 1und1

Die Bundesnetzagentur will die Nutzungsrechte für Frequenzen, die Ende 2025 auslaufen, um weitere fünf Jahre verlängern. Das spielt insbesondere Telekom, Vodafone und Telefónica in die Hände, die sich damit Milliardensummen für eine neue Frequenzvergabe sparen können. Wie stehen Sie zu der Entscheidung des Regulierers?

Wir haben dafür gekämpft Frequenzen erwerben zu dürfen, so wie es ansonsten im Rahmen von Versteigerungen immer möglich war. Die Bundesnetzagentur hat anders entschieden, das müssen wir erst einmal akzeptieren. Damit wir nicht komplett ohne Low Band-Frequenzen dastehen, hat die Behörde die etablierten Anbieter dazu verpflichtet uns ihr verlängertes Funkspektrum teilweise zu überlassen. Wir wollen keine Zeit verlieren und sind direkt auf Telekom, Vodafone und Telefónica zugegangen, um über den Zugang zu den wichtigen Frequenzen unterhalb von 1 GHz zu sprechen. Die ersten Antworten waren bisher wenig ermutigend. Für uns ist es entscheidend, dass wir zum 1.1.2026 genügend Spektrum bekommen, um unsere über 12 Millionen Kundinnen und Kunden zuverlässig versorgen zu können. Ich bleibe optimistisch, dass wir bis dahin doch noch faire Angebote erhalten und, falls notwendig, auch die Unterstützung der Bundesnetzagentur.

Vor allem auch, weil diese Verlängerung für unsere Wettbewerber ein enormer Vorteil ist. Spätestens bei der nächsten Frequenzvergabe muss das ausgeglichen werden. Wenn es in Deutschland echten Wettbewerb geben soll, dann brauchen wir gleiche Regeln für alle.

Abschließend noch einmal zurück zu Open RAN: Wie könnte Open RAN die Marktpositionierung der aktuellen Anbieter verändern?

Netzbetreiber können Komponenten verschiedener Anbieter kombinieren, beispielsweise Funktechnik von Hersteller A, Software von Anbieter B und Systemintegration durch Partner C. Das zwingt die etablierten Ausrüster dazu, sich ständig mit dem Wettbewerb zu messen – sowohl preislich als auch technologisch.

Das bringt Innovation, Flexibilität und faire Preise. Langfristig wird dies den Markt diversifizieren, neue Player hervorbringen und die Innovationszyklen beschleunigen. Für uns als Netzbetreiber, aber vor allem für die Endkunden, ist das eine gute Sache.