High-End-Kopfhörer
Sennheiser HE 1 im Test
Silber, Gold, Platin, Marmor – für den Sennheiser HE 1 sind nur diese Materialien gut genug. Der Anspruch: bester Kopfhörer der Welt. Was ergibt der Test?

Es ist ein magischer Moment. Mit einem leichten Druck auf den Lautstärkeregler erwacht der HE 1 zum Leben. Gebannt beobachtet man, wie sich vier Bedienknöpfe langsam aus der makellosen Marmorfront herausschieben. Dann erheben sich acht rötlich schimmernde Röhren aus einem schwarzen Aluminiumsockel auf der Oberseite des Gehäuses. Erst danach öffnet sich wie von Zauberhand ein dunkel getönter Glasdeckel und gibt endlich das Objekt der Begierde frei. Sanft gebettet in der direkt auf dem Gehäuse befestigten Aufbewahrungsschatulle liegt ein Kopfhörer, um den sich seit der offiziellen Ankündigung im Herbst 2015 bereits die Mythen ranken. Schließlich ist er nicht weniger als der Nachfolger einer Legende.
Wie alles begann...
1991 stellte Sennheiser ein Elektrostatsystem vor, das aus dem Kopfhörer HE 90 und der Antriebseinheit HEV 90 bestand. Bekannt wurde es allerdings unter einem anderen Namen: Sennheiser Orpheus. Er galt gemeinhin als der beste Kopfhörer der Welt und war zur damaligen Zeit unvorstellbar teuer. Knapp 20.000 Mark wurden für das System aufgerufen, was den Orpheus nicht nur zum besten, sondern auch zum mit Abstand teuersten Kopfhörer der Welt machte.
Zum 70. Firmenjubiläum im Jahr 2015 sollte sich diese Geschichte noch einmal wiederholen. Abermals ließ Sennheiser seinen Entwicklern freien Lauf, und am Ende entstand wieder ein Elektrostatsystem, das sich aus dem Vorverstärker HVE 1 mit integriertem D/A-Wandler und dem zugehörigen Kopfhörer HE 1HP zusammensetzt. Ursprünglich spielte man sogar mit dem Gedanken, für das Projekt den Namen Orpheus zu übernehmen. Letztendlich entschied man sich aber dagegen. Der offizielle Name von Sennheisers neuem High-End-Flaggschiff lautet daher nun HE 1, und wie gehabt sprengt es preislich wieder alle Grenzen. 50.000 Euro werden für das Kopfhörersystem fällig, trotzdem soll es sich laut Hersteller überraschend gut verkaufen.
Der Titel „teuerster Kopfhörer der Welt“ ist dem HE 1 damit allerdings nicht mehr sicher: Mit dem Shangri-La, der in Deutschland sogar 60.000 Euro kostet, macht Hifiman Sennheiser in diesem Punkt ernsthaft Konkurrenz.

Keine Kompromisse
Es lohnt sich nicht, über Sinn und Unsinn der Preisgestaltung solcher Prestige-Objekte zu diskutieren. Als Gegenwert bekommt man beim HE 1 jedenfalls kompromisslose Qualität und technologische Exzellenz geboten. Jedes einzelne Detail ist bis ins Letzte durchdacht und auf maximale Klangqualität ausgelegt. Das beginnt bei der hauchdünnen Membran, die mit Platin bedampft ist und eine Stärke von genau 2,4 μm hat. Das Ziel war dabei nicht, eine möglichst dünne Membran zu entwickeln. Stattdessen wurde in intensiven Tests ein Optimalwert ermittelt, der für ein kontrolliertes Schwingverhalten der Membran sorgt.
Die beiden goldbedampften Gitterelektroden, mit denen die Membran angeregt wird, bestehen aus Keramik. Obwohl das Material ziemlich aufwendig zu verarbeiten ist, wurde es von Sennheiser ausgewählt, weil es sehr resonanzarm ist und Verzerrungen speziell im kritischen Frequenzbereich von 3 bis 4 kHz, wo das Gehör am empfindlichsten ist, verhindern soll.
Das Verstärkerkonzept ist beim HE 1 besonders ausgeklügelt. Bekanntlich steht ja bei Elektrostaten die Membran unter einer relativ hohen Vorspannung von mehreren Hundert Volt. Auch das Audiosignal, das an den Elektroden anliegt, wird auf ähnlich hohe Spannungen verstärkt. Eine spezielle Antriebseinheit, die entsprechend hohe Spannungen erzeugen kann, ist für den Betrieb daher unumgänglich.

Beim HE 1 befindet sich die Hochvoltstufe jedoch nicht im Vorverstärker, sondern ist direkt in den Kopfhörer integriert. So verringert sich der Weg für die eigentlichen Antriebssignale auf ein Minimum und das System arbeitet wesentlich effizienter. Im Unterschied zu anderen Elektrostatsystemen wird über das versilberte Anschlusskabel nur das auf ungefähr 5 Volt vorverstärkte Audiosignal übertragen. Im Rahmen der Kopfhörermuschel sind deshalb auch unauffällige Kühlrippen eingelassen. Um zu verhindern, dass der Kopfhörer im Betrieb dennoch zu warm wird, wechselt die Verstärkerstufe bei hohen Pegeln auch frequenzabhängig vom klanglich besseren Class-A- in den effizienteren Class-AB-Betrieb. Dieses eigens für den HE 1 entwickelte und patentierte Verstärkerkonzept bezeichnet Sennheiser als Cool Class A.

In Stein gemeißelt
Während die Hochvoltstufe im Kopfhörer vor allem aus Platzgründen in Transistortechnik aufgebaut ist, arbeitet der Vorverstärker mit acht Vorverstärkerröhren. Sie punkten mit einem besseren Impulsverhalten, sind allerdings empfindlich gegen Erschütterungen. Nicht nur aus optischen Gründen ist das Gehäuse daher aus Carrara-Marmor gefertigt. Es macht jedes Exemplar äußerlich zu einem unverwechselbaren Einzelstück, schirmt aber auch Körperschalleinflüsse wirksam ab. Zusätzlich sind die Röhren durch Quarzglaskolben vor Fremdeinwirkungen geschützt.
Von einem High-End-Gerät in dieser Preisklasse kann man zu Recht erwarten, dass es wie andere Kopfhörerverstärker auch Digitalsignale direkt verarbeitet, sodass man hochaufgelöste Musik hören kann. Der HVE 1 verfügt deshalb über einen hochwertigen D/A-Wandler, der PCM bis 32/384 und DSD bis DSD256 akzeptiert. Er weist sogar analoge Ausgänge auf, man kann ihn daher bei Bedarf auch als Vorverstärker für Aktivboxen und dergleichen nutzen. Auf der Rückseite befindet sich übrigens noch ein weiterer Kopfhöreranschluss, an dem man eine zweite Hörereinheit betreiben kann.
Knapp 30 Sekunden dauert es, bis der HE 1 endlich zum Leben erwacht ist. Die Zeremonie ist keineswegs als Spielerei gedacht, sondern dient dazu, die Zeit zu überbrücken, bis die Röhren auf Betriebstemperatur sind. Der Kopfhörer selbst schmiegt sich mit weichen Ohrpolstern aus echtem Leder und einem atmungsaktiven Mikrofaserüberzug angenehm an den Kopf an. Trotz der Cool-Class-A-Technik wird er im Betrieb merklich, aber nicht übermäßig warm, und selbst bei längerem Gebrauch hält sich die Temperatur in Grenzen. Auch das doch recht hohe Gewicht von über 500 g verteilt sich weit besser als gedacht, die Hörereinheit sitzt sogar extrem bequem. Das sind perfekte Voraussetzungen für lange und entspannte Hörsitzungen. Fast vermittelt der HE 1 das Gefühl, als würde man in einem Kopfkissen versinken.

Hörtest: Emotion pur
Der Deutsche Hans Zimmer zählt zu den bedeutendsten Filmkomponisten in Hollywood. Aus seiner Feder stammt auch „Time“, das Schlusslied aus dem Kinofilm „Inception“, das sich mit seinem mystischen Thema auch ideal als Hymne für den Orpheus-Nachfolger eignen würde. Der Kopfhörer verlieh dem Stück eine einzigartige Tiefe, und zwar nicht nur im räumlichen, sondern auch im emotionalen Sinn. Es hatte fast etwas Magisches, wie der HE 1 die einsamen Klavierakkorde erklingen ließ, die sich in der unergründlichen Weite der düsteren Untermalung zu verlieren schienen. Hier geht es um weit mehr als um die reine Klangqualität, die beim HE 1 außer Frage steht. Hier geht es um blanke Emotionen...
Am Schluss endet alles, wie es begonnen hat. Der Kopfhörer kommt zurück in die Schatulle, der Deckel schließt sich, danach werden zuerst die Röhren und dann die Knöpfe auf der Front eingezogen. Der Sennheiser HE 1 ist im Standby-Modus. Zurück bleibt pure Faszination.